Ungezaehmte Leidenschaft
recht hatte.«
»Meinen Sie damit, dass Sie zu spät kamen, um Seine Lordschaft zu retten, Sir?«
»Nein, Miss Dean, zu spät, um Sie zu retten. Zum Glück konnten Sie sich selbst retten.«
Sie schob ihren zweiten Fuß in den anderen Schuh. »Hollister weine ich gewiss nicht nach. Ich glaube, dass er ein Monstrum war. Aber an seinem jetzigen Zustand bin ich nicht schuld.«
»Ja, das sehe ich«, sagte Owen mit eisiger Ruhe.
»Tun Sie nicht so, als müssten Sie mich bei Laune halten, Sir.« Sie bückte sich zu ihrem schweren Mantel hinunter. »Ich möchte noch einmal betonen, dass ich Seine Lordschaft nicht ermordet habe.«
»Ehrlich gesagt, ist mir das einerlei. Hollisters Tod ist ein Segen für die Welt.«
»Ich gebe Ihnen völlig recht, aber …« Das erneute Geräusch ächzender Türangeln ließ sie verstummen.
»Die Tür«, hauchte sie. »Sie wurde geschlossen.«
Owen erreichte die Tür als Erster, doch das Spiegelpaneel schwang zurück, ehe er seinen Fuß in die Öffnung stecken konnte. Virginia vernahm ein unheilvolles Klicken.
»Verschlossen«, brachte sie erschrocken heraus.
»Wie könnte es anders sein«, murrte Owen. »Die Sache war für mich von Anfang an eine Quelle großen Verdrusses.«
»Mein Beileid«, murmelte sie.
Ihren Sarkasmus ignorierend, ging er zurück ans Bett und griff nach dem blutigen Messer. Dann durchquerte er wieder den Raum und stieß den schweren Messergriff gegen das Türpaneel. Es knackte, und ein großer Riss erschien im Spiegel. Wieder schlug Owen zu. Diesmal fielen ein paar gezackte Splitter zu Boden und enthüllten Teile einer Holztür.
Virginia studierte das neue Schloss, mit dem man die uralte Tür ausgestattet hatte. »Sie können wohl keine Schlösser aufbrechen, Mr. Sweetwater?«
»Was glauben Sie, wie ich heute hier eindringen konnte?«
Er holte ein schmales metallenes Gerät aus seiner Jackentasche, ging in die Hocke und machte sich an die Arbeit. Binnen Sekunden hatte er die Tür geöffnet.
»Sie versetzen mich in Erstaunen, Sir«, sagte Virginia. »Seit wann lernen Gentlemen die Kunst des Schlösserknackens?«
»Diese Kunst hat mir im Laufe meiner Ermittlungen schon sehr oft geholfen.«
»Sie meinen, im Laufe Ihres unseligen Feldzugs mit dem Ziel, den Broterwerb hart arbeitender Menschen wie ich einer bin, zu stören, Menschen, die sich nichts anderes zuschulden kommen lassen, als ihren Unterhalt zu verdienen.«
»Ich glaube, Sie beziehen sich auf meine Bemühungen, jene zu entlarven, die ihren Unterhalt damit verdienen, Leichtgläubige hinters Licht zu führen. Ja, Miss Dean, das ist genau jene Art von Ermittlungen, die mich in letzter Zeit in Anspruch nehmen.«
»Wir, die wir unsere paranormalen Fähigkeiten praktisch nutzen, können nur hoffen, dass Sie sich bald ein neues Hobby zulegen, ehe Sie unsere Profession ganz zugrunde richten«, sagte sie.
»Ach, kommen Sie, Miss Dean. Sind Sie nicht erleichtert, mich heute zu sehen? Wäre ich nicht im richtigen Moment zur Stelle gewesen, wären Sie noch immer mit dem Toten in einem Raum eingeschlossen.«
»Der Punkt geht an Sie«, musste sie zugeben.
»Bedanken können Sie sich später.«
»Hoffentlich vergesse ich es nicht.«
Er warf das Messer weg und zog sie mit seiner behandschuhten Hand zur Tür. Virginia traute Owen Sweetwater nicht über den Weg, konnte es sich gar nicht leisten, ihm zu trauen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, paranormal Agierende als Scharlatane zu entlarven. Owen war nicht der erste sogenannte Ermittler, der versuchte, alle auf übersinnlichem Gebiet Tätigen als Betrüger zu überführen. Aber insgeheim fragte sie sich, ob Sweetwater in seinem Übereifer nicht noch einen Schritt darüber hinausging – in den vergangenen Wochen waren zwei Spiegel-Deuterinnen, Frauen mit Talenten, die ihren ähnlich waren, unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. Die Behörden hatten die Todesfälle als Unfälle zu den Akten gelegt, Virginia aber hatte ihre Zweifel.
Vielleicht hatte Owen Sweetwater mehr im Sinn, als berufliche Laufbahnen zu vernichten. Vielleicht agierte er nicht nur als Richter und Geschworenentribunal, sondern maßte sich auch die Rolle des Exekutivorgans an. Die Energie, die von ihm ausging, verriet ihr, dass seine Natur die eines Jägers war und die Beute, der er nachstellte, menschlich.
Sweetwater war mit Sicherheit kein Freund oder Verbündeter, alle Anzeichen aber deuteten darauf hin, dass er nicht die Absicht hatte, sie zu töten, zumindest nicht hier
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