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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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dennoch. Ich empfand es als persönliche Zurückweisung. Doch die Vorhänge waren dünn. Dahinter flackerte das Licht. Sie hatte Kerzen angezündet. Meinetwegen hatte sie das nie getan, hatte weder die Vorhänge zugezogen noch Kerzen aufgestellt. Ich war der Mann für den Tag. Der dumme Diener.
    Die letzte S-Bahn fuhr in die Station ein. Ein schepperndes »Zurückbleiben bitte!« drang von fern durch die Stille, dann das quäkende Signal vor dem Klappen der Türen. Das Fortrollen. Na gut.
    I saw the flickering shadows of love on her blind! Durch meinen hohlen Schädel schepperte diese Zeile im Endlos-Repeat, in dem atemlosen Stakkato, das den Eifersuchtsmord ankündigt, von Tom Jones geschluchzt, der mittlerweile in ein Pflegeheim verlegt worden war und nicht mehr wusste, dass er jemals gesungen hatte und was Eifersucht überhaupt war. Für ihn war alles vergangen und zur endgültigen Ruhe gebettet, was mich mit entsetzlicher Lebenskraft quälte.
    Es gab keine scharf gezeichneten Schatten wie im Lied; für die hätte sie einen Scheinwerfer hinterm Bett aufbauen müssen. Vielmehr geisterte eine nebelhafte Pantomime über die Leinwand. Wirres Flügelschlagen; das konnte das Fortwerfen eines Hemdes sein. Dies eine Umarmung, nun das Zurückbiegen des Oberkörpers. Nein, unentzifferbar, nicht zu enträtseln. Aber die Laute waren schlimm. Ein leises Wimmern zuerst, das aufkeimte, sich wie ein Samenkorn im Zeitraffer öffnete, seufzend Blätter trieb, sich bäumte, zum Schreien wuchs, und jetzt war es so laut, dass die Nachbarn erwachen mussten. Es war folternd und herrlich erregend. Und dann erkannte ich auch, was das Klatschen bedeutete, oder interpretierte ich es falsch? Nein, das war eindeutig, Applaus war es nicht, der hätte nur von mir kommen können. Es war Züchtigung, erflehte Misshandlung, Strafe aus Lust, ich wollte es nur nicht wissen und musste doch hinhören.
    Endlich Stille. Jetzt, stellte ich mir vor, ließ sie sich den versohlten Hintern einölen. Was für eine unerträgliche Marter für den Zuhörer. Und wie wunderbar.
    Als ich von der Mauer springen wollte, um nach Hause zu wandern – eine Stunde durch die Finsternis, aber mitausreichend Adrenalin versorgt für eine Durchquerung der ganzen Stadt –, erlosch das Licht. Mit einem Schlag war die Stille noch lautloser. Ein Geräusch oben. Vor ihrem dunkel gewordenen Zimmer wurden die Vorhänge zurückgezogen. Ich versteinerte zur Statue auf der Gartenmauer. Das Scharnier quietschte, als sie einen Fensterflügel öffnete. Sie stieß ihn weit auf, der Dampf sollte abziehen. Im fahlen Widerschein der Straßenlaternen glaubte ich zu erkennen, dass sie nackt war. Diese Brüste hatte ich wenige Stunden zuvor noch geküsst.
    Sie blickte in den Himmel. Keine Sterne für sie, kein Mond. Dann streifte ihr Blick den Maulbeerbaum. Unmöglich, dass sie mich sah. So rasch vermochten sich ihre von Kerzenflammen und Lust geblendeten Augen nicht an die Dunkelheit zu gewöhnen. Obendrein bestand die Mauer aus dunklen Ziegeln und war in den Fugen bemoost, meine dunkle Jacke und die Jeans hoben sich nicht davon ab. Ausgeschlossen. Eigenartig nur, wie lange sie ins Geäst des Baumes starrte, hinter dem ich saß.
    Dann erschien jemand neben ihr, ebenfalls nackt, einen Kopf größer, wuscheliges Haar. Für Details war es zu dunkel. Ihn hatte ich nicht gehört, fiel mir jetzt auf, nur sie. Aber er hatte ihre Lust entzünden dürfen. Nun zog er sie zu sich, sie wandte sich um, umarmte ihn, küsste ihn, er schloss das Fenster. Zuziehen der Vorhänge, kurzer Wortwechsel drinnen, Gelächter. Nun wurde es hell im Haus. Ich sprang von der Mauer. Ende der Vorstellung. Es reichte ja auch. Das war es.
    Eben wollte ich aus dem Garten huschen, da ging im Parterre das Licht an, allerdings nur hinter einem einzigen Fenster, dem der Küche. Ein unfreundlicher Gedankewetterleuchtete über den Nachthimmel. Um in die Küche zu spähen, brauchte ich nicht einmal ums Haus herumzuschleichen. Es ging mühelos vom Fußweg aus, an einen Straßenbaum gelehnt, jenseits der Hecke. Dem imaginären Zuschauer im gegenüberliegenden Haus winkte ich kameradschaftlich zu. Da war sicher niemand, aber falls doch, musste er auf meiner Seite sein.
    Nun also die wohlbekannte Küche im Landhausstil. Die Theke mit den schnörkeligen Zierleisten. Der dunkellockige Jüngling, der mit nacktem Oberkörper Platz nahm. Er zog einen Hocker über die Fliesen, dass, vom Schrammen erschrocken, ein Vogel aus dem Gebüsch

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