Ungleiche Paare
gestrichenen Feldsteinkirche mit hölzernem Turm, die katzenhaft gestreckt über den Dorfanger wachte, durfte er Emporen und Tonnengewölbe erbeben lassen, meist mit Choralvorspielen für zehn bis zwölf Gottesdienstbesucher. Ihnen half es vermutlich nicht, aber ihm.
Von Jakob hieß es vage, er habe sich in den Wald zurückgezogen. Dann, genauer: in den Westerwald. Schließlich sickerte durch: in eine dort gelegene Entziehungsklinik. Seine tugendsame Retterin, die verstoßene Reederstochter, hatte ihn in ihren klapprigen Hyundai verfrachtet und hingefahren und mit einem Koffer an der Pforte ausgeladen.
Ihre Rolle war damit beendet. Sie rettete niemanden mehr. Tough geworden, unabhängig und ohne die mindeste Unterstützung ihrer Familie machte sie im Alleingang Karriere, nicht zufällig als Einzige aus dem Clan. Als sehnige Unternehmensberaterin mit feministischem Einschlag erwarb sie Respekt und Verdienste. Sogar ein politisches Amt wurde ihr angeboten; jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, tritt sie es gerade an.
Auf Jakob stieß ich Jahre später beim Zappen. Vor einem andächtigen Bildungspublikum trat er gegen einen faltigen französischen Soziologen an. Dem Alten ging es um kulturelle Mangelerscheinungen bei aufstrebendenMigranten. Sein verdämmerndes Forscherleben hatte er Aufsteigern gewidmet, vornehmlich solchen, denen beim Wechsel in die Upper Class das Kulturkapital fehlte. Sie müssten sich den passenden Habitus mühsam aneignen, bedauerte er, den andere schon im Kinderzimmer aufgesammelt hätten.
Nein, müssten sie gar nicht, im Gegenteil, hielt Jakob dagegen. Hinter seiner Krawatte pochte noch das Rebellenherz, nun schon mit Stents geflickt. Er plädierte für Bad Behaviour. Was das sein sollte, wusste niemand genau; er hatte eine Marktlücke entdeckt. Laut Einblendung firmierte er als Beziehungscoach und Motivationstrainer. Zu seinem Angebot gehörte Unterricht in badness . Was er darunter verstand, klang trendgerecht und schien kompatibel mit Che-Guevara-Postern, Böhsen Onkelz, Andreas-Baader-Verehrung und florierenden Unternehmen wie Bad Boy Entertainment.
Auf den Tisch hauen, unverschämt sein, kratzen, beißen, kneifen: Für badness in der Partnerschaft empfahl Jakob gleich mehrere Gifte samt Dosierempfehlung. Frauen sollten mit Geschirr werfen, Unterhosen zerschneiden, aus Rache fremdgehen, wütend im Treppenhaus schreien, dann seien sie auf dem richtigen Weg, unwiderstehliche Bad Girls zu werden. Für Bad Boys empfahl er den gezielten Einsatz zupackender Flegeleien: fremden Frauen nachpfeifen, der eigenen in den Po kneifen, sie zum Strippen auf den Küchentisch kommandieren, zum Sexobjekt degradieren, den Pavian markieren, das rühmte er. »Wir können so viel vom Machismo der Migranten lernen!«
Das bebrillte Publikum rutschte beunruhigt auf den Stühlen herum. Der betagte Kulturtechniker kratzte sichhinterm Ohr. Unanständigkeiten und schlechte Manieren gehörten nicht zu der Strömung, der er sich akademisch widmen wollte.
Doch genau diese Strömung schien anzuschwellen. Ihrer kommerziellen Schattenseite begegnete ich in Gestalt meiner Tante Margarete, der mit Abstand fettesten aller Verwandten. Zum Familientreffen kam sie in einem Sweater mit dem bombastischen Aufdruck Bad Boys . Dem ernsteren Anteil begegnete ich, als meine Tochter sich von der Ohrfeige beeindruckt zeigte, die sie von jenem Migranten aus Burkina Faso vorurteilsfrei oder sogar dankbar, man kann wohl sagen: entgegengenommen hatte.
Auch zu den Gewohnheiten von Kulturberichterstatterinnen gehört es, ein Enfant terrible grundsätzlich lobenswert zu finden, egal was es fabriziert. Das terrible macht das Enfant attraktiv, zumindest solange es einigermaßen jung ist. Wenn eines sogar Bad Boy der Szene genannt werden kann, der Szene in Film, Theater, Literatur, Malerei, schmelzen die kulturellen Good Girls dahin. Ungefähr wie ihre Urgroßmütter, als Männer in schwarzen Uniformen Ecken und Kanten zeigten und das Böse beschworen. Auch Gaddafi und Bin Laden waren zu ihren besten Zeiten sexy. Dass sie von den Arrivierten ausgegrenzt wurden, erhöhte nur ihre Anziehungskraft. Das Signalisieren von Gewaltbereitschaft und Grenzverletzung zieht gutwillige Frauen an. Nicht alle, aber doch so viele, dass es, wenn man nicht scharf aufpasst, zur Rettung der Welt reichen könnte.
Wohltätigkeit
Ich war längst zum privaten Appeasement-Politiker gereift oder degeneriert, als ich Frauen, um die ich warb und bei denen ich beinahe
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