Ungleiche Paare
vorbei, den er hätte kriegen sollen.
»Hier ist das Geld.« Die Frau tauchte rosig aus der tiefen Kommodenschublade empor.
»Man hört die S-Bahn«, bemerkte Jakob.
»Daran gewöhnt man sich«, winkte sie ab. »Und manchmal ist es ganz gut, wenn es draußen Geräusche gibt. Kann ja mal laut zugehen im Schlafzimmer.« Sie zwinkerte ihm zu.
Jakob wusste nicht recht, ob er auf diese Andeutung eingehen sollte. Vielleicht besser nicht. Seine Eltern wurdengelegentlich laut, ja, wenn sie stritten, aber das taten sie nie im Schlafzimmer. Dort ging es leise zu. Niemals passierte dort etwas Lautes, grundsätzlich ereignete sich dort nichts außer Schlaf. Sein Zimmer lag direkt daneben. Er hätte es wissen müssen.
»Herrje, entschuldigen Sie, da steht ja noch der Wäscheständer!« Vielleicht war es ihr tatsächlich erst in diesem Augenblick aufgefallen. »So etwas gehört sich ja nicht. Aber sehen Sie mal!« Sie lachte mit pausbäckiger Heiterkeit. »Wissen Sie, was das ist?« Sie winkte ihn näher, wie zu einer naturkundlichen Entdeckung, die man mit der Lupe würdigen musste.
»Na?«, wiederholte sie wie eine nachsichtige Lehrerin. »Erkennen Sie das?«
Jakob sah unsicher hin. Es handelte sich um Frauenunterwäsche. Vor allem um sogenannte Slips, in lockerer Reihe aufgehängt an roten Plastikklammern. Er wollte daran nichts Sehenswertes finden.
Sie lächelte geheimnisvoll. »Das ist meine Reizwäsche.« »Ach so.« Das Wort war ihm fremd.
»Und ich glaube, das müsste inzwischen alles ... « Sie befühlte den Stoff. »Ja, das ist alles trocken. Hier.« Sie nahm einen Slip ab. »Sehen Sie mal, wie zart so etwas gearbeitet ist.«
Sie hielt ihm das Kunstwerk hin. Es war winzig. »Fühlen Sie mal. Ganz feine Spitze, hinten die süße Schleife, vorn transparent. Da ist kaum noch Stoff dran!« Darauf war sie stolz.
Sie legte ihm den Slip in die Hände, weil sie noch etwas anderes vorführen wollte. Sie nahm die Klammern ab. »Das Negligé!« Sie hielt es gegen das Fenster. »Fast durchsichtig!«
»Stimmt«, gab er folgsam zu. Er hielt den Slip in den Händen wie ein Tropenforscher eine neu entdeckte Kröte, deren Giftigkeit noch ungeklärt ist.
»Können Sie sich das vorstellen? Dass das aufreizend ist?« »Ja, natürlich.« Er konnte sich gar nichts vorstellen. Er war verwirrt und verlegen.
»Wissen Sie, wenn man eine Zeit lang verheiratet ist, tut der Mann nicht mehr viel«, erläuterte sie. »Das ahnen Sie vermutlich noch nicht.«
»Nein.« Jakob ahnte nichts. Er hoffte nur, alles richtig oder wenigstens höflich zu beantworten. Seine Einsilbigkeit musste einen stümperhaften Eindruck machen. Doch die Mutter seines Nachhilfeschülers war guten Mutes.
»Dann muss eine Frau den eigenen Mann verführen«, erklärte sie ihm. »Oder aber ...« Etwas freundlich Vertrauliches funkelte in ihren Augen. »Oder aber sie muss einen anderen verführen.«
Es war beschämend. Jakob, Alexander und ich: Wir hatten doch alles geklärt! Nicht jedes Detail für jeden möglichen Fall. Aber im Großen und Ganzen hatten wir ausführlich und häufig genug besprochen, wie wir uns verhalten würden. Wir hatten uns alles ausgemalt, so genau es ging. Frauen konnten bei diesen Besprechungen lediglich imaginär anwesend sein. Und das war nun der Haken: Jetzt war eine ganz real da. Und in ihrer Anwesenheit vergaß Jakob unseren Lehrstoff.
»Eine Frau kann einen Mann mit Reizwäsche verführen«, fuhr sie fröhlich fort. »Aber Jakob, Sie kennen ja den Scherz von der Frau, die sich neue schwarze Dessous gekauft hat.«
»Ja«, behauptete Jakob.
»Sie zündet Kerzen an und tritt dann in dieser betörenden Unterwäsche vor ihren Mann, ganz in schwarzer Spitze. Er sieht auf. Und er erschrickt. O Gott, ruft er, ist was mit Oma?«
Sie lachte bauchig. Jakob stimmte ein. Aber selbst wenn sie nicht übertrieben sensibel war, musste sie an seinem Lachen merken, dass er den Witz nicht verstanden hatte. Jedenfalls nicht vollständig. Die Pointe blieb ihm ein Rätsel.
»Ich trage am liebsten so wenig Unterwäsche wie möglich«, fand sie noch wichtig. »Ohne BH fühle ich mich einfach freier. Oder finden Sie das schlimm?«
Sie schwang ihren Oberkörper leicht hin und her. Jakob fühlte sich aufgefordert hinzusehen.
»Nein«, sagte er höflich.
»Sieht man zu viel?«, wollte sie wissen.
»Nein«, sagte er. Obwohl man eine Menge sah, wie er später beteuerte.
»Gut, das hier ist also der Rest für Oktober und das Geld für November«, sagte sie
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