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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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verboten, aber am brackigen Wellensaum übernachtete man unter offenem Himmel. Hannah, die von ihrem Balkon aus die Glut der Grillfeuer sah, konnte in der Dunkelheit den Gitarrenakkorden lauschen, die von Träumern den auslaufenden Schiffen nachgesandt wurden.
    »Es ist nicht auszuhalten in meiner Dachwohnung«, hatte ich ihr am Telefon erzählt.
    »Wenn du willst, kannst du herkommen«, hatte sie einfach erwidert. »Ich liege auf dem Balkon.«
    So ähnlich hatte ich es mir vorgestellt. Schon regte sich die Furcht.
    Ich verließ die Dachwohnung, das Haus, den Block, auf dessen Sonnenseite die Rollläden tagsüber herabgelassen und die Vorhänge zugezogen blieben und wo bei Nacht die Fenster zum Hof offen standen, sodass es schwer war, Krimis und Stöhnen den richtigen Wohnungen zuzuordnen.
    Ich schlenderte die Straße entlang, deren Asphaltränder sich in glänzenden Klebstoff auflösten, und wanderte durch den Park mit dem ausgeblichenen Gras und den gekrümmten Rhododendronblättern die Treppenstufen den Elbhang hinab, den gepflasterten Weg zwischen den Kapitänshäusern und Rosengärten entlang, bis der Weg in den Schatten der Linden tauchte, am eiszeitlichen Findling vorüber, an den Sonnenschirmen des Restaurants, vorbei an der umgestürzten Pappel mit der ins Wasser ragenden Krone, unter den Kastanien zum Anleger, dann unterhalb der Villen entlang bis zum Mühlenberger Segelhafen.
    Ich war diesen Weg oft genug gegangen, aber nicht zu Hannah, sondern zu ihrer Tochter. Das war der Einstieggewesen: dass ich mich im Spätherbst in dieses Mädchen verliebt hatte, das noch dieselbe Schule besuchte, die ich längst verlassen hatte, an die ich aber zu sentimentalen Besuchen zurückkehrte. Einen Winter lang waren wir ins Kino gegangen, zu Partys voller kichernder Mädchen, ins Theater, im Frühling am Strand entlang. Als die Nächte nicht mehr dunkel wurden, brach ich zuweilen gegen vier Uhr auf, wanderte in der Morgenkühle unter ihrem Haus vorbei, stellte mir vor, wie sie sich räkelte, kehrte an der Mole des Segelhafens um, stieg die von Efeu berankte Treppe den Hang hinauf und setzte mich schließlich vor ihr Fenster, das auf eine schattige Terrasse ging und mit einem Gitter gegen Einbruch gesichert war.
    Wenn sie endlich die Vorhänge zurückzog, schlaftrunken und von unerreichbarer Wärme umhüllt, entdeckte sie mich und setzte eine fragenden Blick auf. Ich musste mich anstrengen, den sonderbaren Eindruck ins Harmlose zu verwischen. Die Mutter, Hannah, sagte: »Gut, dass wir das Gitter haben.« Die Tochter war sechzehn. Die Eltern fanden sie keineswegs reif für nächtliche Besuche eines Studenten, und sie selbst hatte sich dieser Ansicht unbegreiflicherweise angeschlossen.
    Anfangs beteuerte ich, das Nesteln und Tasten mit klemmenden Reißverschlüssen, engen Knopflöchern und hochgeschobenen T-Shirts reiche mir. Mit der Zeit stellte ich fest, dass ich für ihre Idole, Markenprobleme und Referate weniger Interesse aufbringen konnte als für die Themen, denen die Mutter sich widmete. Mit Konversation hatte ich mich nur aufgehalten, um einen vernünftigen Eindruck zu machen. Nun zeigte sich, dass ich mich mit Hannah besser unterhalten konnte. Ihr ging es umKunstausstellungen, um Architektur am Hafenrand oder um einen Methodenstreit in der Psychologie. Altklug trug ich bei, was ich in Hörsälen aufgeschnappt hatte. Während solcher Gespräche mixte die Tochter Getränke oder stand daneben und wiegte sich zu einer unhörbaren inneren Melodie.
    »Du unterhältst dich lieber mit meiner Mutter als mit mir«, hielt sie mir vor. Ich stritt es ab und war stolz. Womöglich redete die Mutter auch lieber mit mir als mit ihrem Mann? Das Comeback der Familie war in jenen Jahren noch nicht ausgerufen; die Ehe galt als Auslaufmodell. Wer darin feststeckte, wurde belächelt oder zu Experimenten ermutigt.
    War die Mutter zu Experimenten bereit? Sie hatte mich einmal, als die Tochter krank im Bett lag und ich mich an der Haustür verabschiedete, eigentümlich an der Schulter berührt. Es war Dankbarkeit für den Besuch, und zugleich hatte etwas unerlaubt Zärtliches darin gelegen.
    Und warum auch nicht? Sie war die reifere Ausgabe der Tochter, mit breiterem Becken, größeren Brüsten, aber immer noch schmaler Taille, geschmeidig gehalten von Tennis und Yoga, zweifellos erfahrener, weniger frisch, aber bestimmt nicht mehr auf Jungfräulichkeit erpicht.
    »Lasst die Tür offen«, sagte die Mutter, wenn ich mit der Tochter nach unten
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