Unheil
Ihr
Oberarm streifte Mirjams nackte Brust, und die Berührung löste etwas sehr
Seltsames in ihr aus. Erst jetzt kam ihr wirklich zu Bewusstsein, dass die
beiden Mädchen nichts als ihre knappen Slips trugen, und plötzlich erschien es
ihr als vollkommen unmöglich, mit zwei nackten Mädchen durch dieses
unterirdische Labyrinth oder gar auf die StraÃe hinauszugehen. Behutsam lehnte
sie das Mädchen gegen die Wand, lieà sie vorsichtig los und sah sich rasch nach
ihren und Tessâ Kleidern um, fand sie jedoch nicht. Die beiden Kerle mussten
sie an einem anderen Ort entkleidet und schon so hier heruntergebracht haben.
Vielleicht nur in einem der angrenzenden Räume oder drauÃen in der Halle, nur
ein paar Schritte entfernt, aber sie hatte gewiss keine Zeit, danach zu suchen.
Kurz entschlossen beugte sie sich zu dem bewusstlosen Jungen hinab,
drehte ihn auf den Bauch und schälte ihn mit einiger Anstrengung aus dem
schwarzen Kunstledermantel; eine Aufgabe, die nahezu ihre gesamten Kräfte
beanspruchte. Der Junge konnte nicht mehr als fünfzig oder sechzig Kilo wiegen,
aber sein schlaffer Körper setzte ihr so hartnäckigen passiven Widerstand
entgegen, dass sie fast eine Minute brauchte, bis sie den schwarzen Mantel
endlich in Händen hielt. Sein Saum schwelte noch immer, und der verschmorte
Kunststoff verströmte einen so erbärmlichen Gestank, dass ihr leicht
schwindelig wurde.
Conny trat die schwelende Stelle sorgfältig aus, spürte die Hitze,
die selbst durch ihre dicken Schuhsohlen drang, und wurde sich eines weiteren
und sehr viel ernsteren Problems bewusst: Die beiden Mädchen waren nicht nur
nackt, sondern trugen auch keine Schuhe, und der Kellerboden war nur so
gespickt mit Schutt und Trümmern, scharfkantigem Metall und Glasscherben. Sie
würden keine zehn Schritte weit kommen, ohne sich zu verletzen. Conny machte
sich nichts vor. Ihre Kräfte reichten nicht aus, um auch nur eine von ihnen bis
zum Wagen hinaufzutragen, geschweige denn beide.
So absurd ihr der Gedanke auch vorkam â sie hatte nur eine Wahl.
Rasch hängte sie Tess den angesengten Mantel um die Schultern, kniete ein
zweites Mal neben dem bewusstlosen Jungen nieder und begann mit vor Ungeduld
zitternden Fingern, die Schnürsenkel seiner groben Stiefel zu lösen. Er
reagierte so wenig darauf wie auf alles andere zuvor, und eigentlich hätte sie
sich spätestens jetzt fragen müssen, ob er tatsächlich nur bewusstlos war und
mit ein bisschen Kopfschmerzen (und dem einen oder anderen Jahr Jugendarrest)
davonkam, aber sie verschwendete nicht einmal einen Gedanken darauf, sondern
zerrte ungeduldig die Stiefel herunter und warf sie Tess hin. »Zieh die an!«
Tess starrte genauso teilnahmslos durch die Stiefel hindurch wie
gerade durch sie, und Conny schluckte einen Fluch herunter, ging zu ihr und
versuchte ihr die Stiefel anzuziehen; keine unbedingt leichte Aufgabe, denn das
Mädchen tat rein gar nichts, um ihr dabei zu helfen. Sie kam sich vor wie eine
Mutter, die zum ersten Mal versuchte, ihrem Kind die Schuhe anzuziehen und
zuzubinden â allerdings wie eine Mutter mit zwei linken Händen und einem
sechzig Kilo schweren autistischen Kind.
Irgendwie gelang es ihr dennoch, und sogar, ohne noch allzu viel von
ihrer kostbaren Zeit zu verschwenden, doch damit war erst die Hälfte ihres
Problems gelöst. Die zweite Hälfte lehnte mit aschfahlem Gesicht an der Wand
neben der Tür und presste den verletzten Arm an sich. Ihre FüÃe waren genauso
nackt wie die von Tess, und das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren
noch mehr blutende Schnittwunden.
Aber es gab ja noch ein zweites Paar Schuhe hier drinnen.
Durch ihre Erfahrungen beim ersten Mal gewarnt, drehte Conny den
Jungen sehr behutsam um und war jederzeit auf einen weiteren heimtückischen
Angriff gefasst, während sie ihm seinen Mantel auszog. Er begann sich stöhnend
zu regen und versuchte ganz instinktiv, ihre Hände von sich wegzuschieben, aber
nicht noch einmal, nach ihr zu schlagen. Als sie jedoch den Mantel beiseite
legte und sich seinen Stiefeln zuwandte, spürte sie, dass er sich anspannte, um
nach ihr zu treten.
»Versuch es nur, und ich breche dir beide Beine«, sagte sie kalt.
Der Junge erschlaffte wieder, drehte sich aber auch mühsam auf den
Rücken und starrte sie aus hasserfüllten, blutunterlaufen Augen an, während sie
immer hektischer an den
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