Unheil
zu töten.
Hilflos, wie sie sich fühlte, versuchte sie Mirjams
Pulsadern dicht unter der schrecklichen Verletzung abzudrücken, hatte aber das
Gefühl, es damit eher noch schlimmer zu machen. SchlieÃlich streifte sie ihre
Jacke ab, riss â mit erheblich mehr Mühe, als sie erwartet hätte â den Ãrmel
ihrer Bluse ab und versuchte, einen Verband zu improvisieren.
Es blieb bei dem Versuch. Der Stoff färbte sich beinahe schneller
rot, als sie dabei zusehen konnte, und aus ihrer Verzweiflung wurde etwas
anderes, Schlimmeres. Es war ein Déjà -vu, doch alles
von der schrecklichsten Art: Aisler hatte sein Ziel endlich erreicht. Sie hatte
ein Mädchen gerettet, nur damit ein zweites jetzt unter ihren Händen starb, und
als kleine Verzinsung für das Vergnügen, das ihm entgangen war, diesmal durch ihre Schuld.
Hinter ihr scharrte es. Conny registrierte eine Bewegung aus den
Augenwinkeln, fuhr herum und reagierte, ohne nachzudenken, als sie sah, dass es
dem Jungen endlich gelungen war, seinen schwelenden Mantel zu löschen, und er
Anstalten machte, sich auf sie zu werfen. Sie schlug zu, diesmal nicht mit dem
Handrücken, sondern mit der Faust.
Dem stechenden Schmerz nach zu schlieÃen, der in ihrem Handgelenk
explodierte, musste der Schlagsehr fest gewesen
sein. Der Junge verdrehte die Augen, kippte ein zweites Mal nach hinten und
schlug schwer mit dem Hinterkopf auf den heruntergefallenen Gettoblaster auf,
der daraufhin ein protestierendes Knirschen hören lieÃ. Die Klappe sprang auf
und spie eine in Stücke gebrochene CD aus, und
Conny fuhr hastig zu dem zweiten schwarz gekleideten Jungen herum, der nur ein
kleines Stück hinter ihr lag und immer noch würgend und keuchend nach Luft
rang.
So, wie es aussah, würde er das wohl auch noch eine ganze Weile tun.
Er versuchte nicht nur, das Luftholen neu zu lernen, sondern hatte sich auch
blutig erbrochen, und Conny kam erst im Nachhinein zu Bewusstsein, wie hart sie zugeschlagen hatte. Sie musste ihn schwerer
verletzt haben. Und sie spürte nicht einmal so etwas wie ein schlechtes
Gewissen, sondern allenfalls eine grimmige Befriedigung.
Hastig wandte sie sich wieder zu Mirjam um. Das Mädchen hatte sich
in einer fötalen Haltung auf dem Boden zusammengekrümmt und den verletzten Arm
unter den Körper geschoben. Es weinte jetzt nur noch leise und reagierte auch
nicht, als Conny sie vorsichtig an der Schulter berührte. Doch als sie sie mit
sanfter Gewalt umdrehte, sah sie, wie erbärmlich wenig ihr improvisierter
Verband tatsächlich genutzt hatte: Der Stoff glänzte mittlerweile in einem
dunklen, nassen Rot, und sie glaubte regelrecht sehen zu können, wie Mirjams
Gesicht mit jeder Sekunde blasser wurde. Das Leben sickerte sichtbar aus ihr
heraus.
Verzweifelt sah sie sich nach etwas um, was sie als wirklichen Verband benutzen konnte , fand
aber nichts, sodass sie schlieÃlich auch noch den anderen Ãrmel ihrer Bluse
abriss und zu einem schmalen Band zusammendrehte; sie knotete es so fest um
Mirjams Ellbogengelenk, wie sie nur konnte. Auch das brachte nicht den
erhofften Erfolg, sodass sie schlieÃlich das Messer aufhob, die Klinge unter
den Verband schob und anderthalbmal umdrehte, um auf diese Weise die Schlagader
abzubinden. Auch, wenn sie wenig von Medizin oder auch nur Erster Hilfe
verstand, war sie sich doch schmerzhaft der Gefahr bewusst, dass das Mädchen
auf diese Weise die Hand oder gar den ganzen Unterarm verlor, wenn sie nicht
wirklich sehr schnell ärztliche Hilfe bekam ⦠aber
welche andere Wahl hatte sie schon?
Erst jetzt, als zumindest die unmittelbare Gefahr für Mirjams Leben
gebannt schien, wagte sie es, sich auch um Tess zu kümmern. Das Mädchen saÃ
noch immer in völlig unveränderter Haltung da, der Kopf nach vorne gesunken,
mit halb geschlossenen Augen. Conny spürte, dass sie bei Bewusstsein war, wenn
auch in einem Zustand, in dem sie kaum noch etwas von ihrer Umgebung wahrnahm.
Obwohl nun nichts so kostbar war wie Zeit, verwandte sie einen
Moment darauf, Tessâ Handfesseln aufmerksam in Augenschein zu nehmen und genau
zu dem Ergebnis zu kommen, das sie erwartet hatte: Ihre Handgelenke waren mit
Kupferdraht zusammen- und zusätzlich an das Liftkabel gebunden, eine ganz
besonders niederträchtige Art der Fesselung, die praktisch keinem anderen Zweck
diente als dem, seinem Opfer Schmerzen zuzufügen.
Der Anblick erfüllte
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