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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gesagt: Aus irgendeinem Grund wollte sie ihn nicht verhaften.
    Was sie nicht daran hindern würde, es zu tun, wenn der Kerl sich
einbildete, sie verarschen zu können.
    Sie gingen nur ein paar Schritte, gerade weit genug, um die
Tanzfläche überblicken zu können, auf der jetzt wieder nur mäßiges Gedränge
herrschte. Anscheinend wechselte die Frequenz von Lied zu Lied; falls man das
Röcheln eines gerade an Kehlkopfkrebs Sterbenden wirklich Musik nennen wollte.
    Â»Dort drüben.« Vlad machte eine Kopfbewegung. »An der Theke. Der
Langhaarige mit dem schwarzen T -Shirt.«
    Davon gab es gleich drei, aber Conny wusste trotzdem, wen er meinte.
Der Junge lehnte ganz außen an der Theke, ein großer, schlaksiger Bursche in
der hier allgemein angesagten schwarzen Kleidung und mit ebenfalls schwarzem
Haar, das er zu einem bis in die Mitte des Rückens hinunterfallenden
Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Er wäre vollkommen unauffällig gewesen
(zumindest in diesem Umfeld), wäre da nicht sein Blick gewesen, der einen
krassen Gegensatz zu der betont lässigen Haltung bildete, in der er an der
Theke lehnte. Er suchte etwas. Vielleicht auch jemanden.
    Â»Dieses Bürschchen?«, fragte sie ungläubig. Der Junge war vielleicht
gerade zwanzig.
    Â»Er ist auf der Jagd«, sagte Vlad ungerührt. »Er hält gerade
Ausschau nach seiner nächsten Beute. Das spüre ich. Und du spürst es auch.«
    Das Verrückte war, dachte sie bestürzt, dass es stimmte. Es blieb
dabei. Der Bursche war ein … Kind, nicht nur äußerlich, sondern viel mehr noch
von seiner Ausstrahlung her. Jeder, der freiwillig in einen Schuppen wie diesen
ging und nicht nur Geld dafür bezahlte, sich das Gehör ruinieren zu lassen,
sondern auch noch Spaß daran hatte, sich von Kopf bis Fuß in Schwarz zu hüllen,
das Gesicht totenweiß zu schminken und sich an den unmöglichsten Stellen zu
piercen, musste tief drinnen ein Kind sein. Und das war er auch, ganz
zweifelsfrei … aber zugleich hatte er auch etwas von einem Raubtier an sich.
Kein Jäger. Er war kein Leopard oder Tiger, der seine Beute zu Tode hetzte und
dann mit einem Prankenhieb niederstreckte, sondern eine Spinne, die lautlos und
mit unendlicher Geduld auf ihre Beute lauerte, um dann aus dem Hinterhalt
heraus zuzuschlagen; heimtückisch, aber nicht weniger tödlich.
    Â»Das ist lächerlich«, sagte sie trotzdem, wenn auch mit einem
deutlichen Zittern in der Stimme, das sie selbst erschreckte. »Der Kerl ist ein … ein
Kind. Kaum älter als die meisten seiner Opfer.«
    Â»Und das bedeutet automatisch, dass er unschuldig sein muss?«,
fragte Vlad. »Weil er jung ist?«
    Conny biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Das Schlimme war,
dass er recht hatte. Sie spürte es einfach.
    Â»Und was soll ich jetzt tun …«, um ein Haar hätte sie ihn geduzt, »… Ihrer
Meinung nach?«
    Â»Ihn verhaften?«, schlug Vlad vor.
    Â»Und mit welcher Begründung?« Conny schüttelte heftig den Kopf, ohne
den Langhaarigen auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen zu
lassen. Er lehnte noch immer in scheinbar vollkommen entspannter Haltung an der
Theke, nippte ab und zu an einem Glas Cola mit Eis und erweckte vollkommen
überzeugend den Eindruck, sich ohne irgendein spezielles Interesse umzusehen … bei allen anderen. Conny entging keineswegs, wie taxierend
seine Blicke unter dieser Maske waren; Blicke, denen nicht die geringste
Kleinigkeit entging. Obwohl es nicht den Eindruck erweckte, war sein Kopf (und
vor allem seine Augen) in ununterbrochener Bewegung. Ein oder zwei Mal streifte
sein Blick sogar Conny, aber sie war vermutlich zu weit weg, als dass er sie
genau erkennen konnte, und außerdem passte sie nicht in sein Beuteschema, ganz
egal, nach welcher Art von Wild er auch Ausschau hielt. »Ich kann ihn nicht
einfach verhaften, nur weil mir jemand, den ich noch nicht einmal kenne, gesagt
hat, dass er ein Serienkiller sei.«
    Sie bekam keine Antwort, und als sie sich ärgerlich zu Vlad
umdrehte, begriff sie auch, warum.
    Er war nicht mehr da, und einen Moment lang fragte sie sich ganz
ernsthaft, ob er überhaupt jemals da gewesen war oder sie vielleicht allmählich
durchdrehte.
    Das war natürlich Unsinn. An einem Ort wie diesem einen Kerl mit
Pelerine, Rüschenhemd und Gehstock zu sehen, den es gar nicht gab, das

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