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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mochte
ja noch angehen (vor allem, wenn man in den letzten beiden Nächten so gut wie
nicht geschlafen hatte), aber sie hatte schließlich mit ihm gesprochen. Und
nicht nur das.
    Trotzdem blieb er verschwunden, so aufmerksam sie sich auch umsah.
    Und als sie sich wieder zur Theke umdrehte, war auch der Langhaarige
nicht mehr da.
    Für eine oder zwei Sekunden drohte sie fast in Panik zu geraten,
doch dann sah sie eine schlanke Gestalt mit einem auffällig langen, gepflegten
Pferdeschwanz im anderen Saal verschwinden und machte sich hastig daran, ihr zu
folgen. Sie hatte nicht vor, ihn anzusprechen oder gar etwas wirklich Dummes zu tun (wie zum Beispiel ihn zu verhaften),
aber es konnte nicht schaden, ihn einfach noch ein paar Minuten im Auge zu
behalten. Außerdem stieg in seiner Nähe vermutlich die Wahrscheinlichkeit, den
selbst gebastelten Vlad Dracul wieder zu treffen.
    Auf der Bühne im angrenzenden Saal war mittlerweile eine andere
Inszenierung im Gange. Der Pappsarg, den man vorhin hereingebracht hatte, stand
im Zentrum eines Dutzends unterschiedlicher, ausnahmslos grellbunter
Scheinwerferstrahlen, die im Licht der hämmernden Heavy-Metal-Musik zuckte, die
das Röcheln des Krebskandidaten abgelöst hatte. Eine Trockeneismaschine
produzierte brodelnden weißen Dampf, und der Typ mit Hammer und Schwert trat
gemessenen Schrittes auf die Bühne hinauf. Wahrscheinlich, dachte sie, würde
gleich der Sargdeckel aufspringen, und eine totenblass geschminkte Frau in
zerrissenen Kleidern würde heraussteigen, um von ihrem Kollegen möglichst
publikumswirksam gepfählt zu werden.
    Eigentlich sollte diese Vorstellung lächerlich sein. Sie dachte diesen Gedanken sogar ganz bewusst, um sich im
Stillen darüber lustig zu machen, aber es wollte ihr nicht gelingen. So naiv
und dilettantisch diese Laienvorstellung auch war, der Gedanke an das, was
gleich dort oben auf der Bühne passieren würde, bereitete ihr fast körperliches
Unbehagen.
    Sie schüttelte den Gedanken ab, trat ganz instinktiv aus dem
hellsten Licht heraus und machte dann noch einmal einen raschen Schritt zurück,
nachdem sie sich suchend umgesehen hatte. Die Scheinwerfer, die die Bühne
beleuchteten, waren so hell, dass alles andere ringsum praktisch unsichtbar
wurde. Auch wenn der Kerl mit dem Pferdeschwanz ganz bestimmt kein Interesse an
ihr hatte (Conny bezweifelte, dass er sie überhaupt zur Kenntnis genommen
hatte), musste sie den Langhaarigen ja nicht unbedingt mit der Nase darauf
stoßen, dass sie sich für ihn interessierte; schon, um im Zweifelsfall sich
selbst ein paar sehr unangenehme Fragen zu ersparen …
    Conny fragte sich erneut und mit immer größerer Verwunderung, was
zum Teufel sie hier eigentlich tat . Ganz egal, wie
man es drehte oder wendete, es lief genau auf das hinaus, was sie gerade selbst
zu Vlad gesagt hatte: Sie bespitzelte einen ihr völlig unbekannten jungen Mann
(einen Bürger , und somit per Definition jemanden, der
so lange unschuldig wie ein neugeborenes Baby war, wie sie ihm nichts
nachweisen konnte oder zumindest einen vernünftigen Anfangsverdacht hatte), und
das nur auf die wilden Anschuldigungen eines vollkommen Fremden hin. Die
Chancen, dass sich hier heute jemand gehörigen Ärger einhandelte, standen gar
nicht schlecht. Sie war nur nicht sicher, wer das sein würde.
    Der Pferdeschwanzträger schien sich weder für sie noch für das
Geschehen auf der Bühne zu interessieren. Conny musste nach ihm suchen, um ihn
in der dicht an dicht stehenden Zuschauermenge überhaupt zu entdecken. Er war
nicht allein, sondern unterhielt sich in scheinbar vertrautem Ton mit einem
vielleicht sechzehn- oder siebzehnjährigen Mädchen, das ihm kaum bis zur Brust
reichte und ein schwarzes T -Shirt, einen
gleichfarbigen Minirock (der eigentlich nur ein breiter Gürtel war) und sorgsam
zerrissene Netzstrümpfe über einer weißen Strumpfhose trug. Anders als die
meisten hier hatte sie ihre Haare nicht schwarz gefärbt, sondern in einem strähnigen
Violett, und all ihre Mühe, sich mit totenbleicher Schminke, schwarzem
Lippenstift und bitumenähnlichem Mascara zu entstellen, konnte ihre natürliche
Schönheit nicht verhehlen.
    Vielleicht war es der Anblick des Mädchens, der Connys letzte
Zweifel beseitigte. Sie passte einfach zu gut ins Beuteschema des Vampirs:
irgendetwas zwischen fünfzehn und siebzehn Jahren alt, hübsch und

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