Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
fallen.
Meine Kehle schnürt sich zu, als Franc erklärt, er müsse nur noch etwas bei einer befreundeten Familie abgeben, dann würde er mich nicht nur bis Pau, sondern gleich bis Oloron Sainte Marie fahren. Der Weg biegt ab von der Hauptstraße in eine kleinere Nebenstraße und diese führt (oh, mein Gott!) in einen Waldweg. Ich bete zu Santiago. Ja, ich schreie innerlich zu Santiago, mich doch jetzt nicht allein zu lassen. Wir fahren ein langes Stück im Wald und ich fühle, wie Panik in mir aufsteigt. Ich fange an, beruhigend auf mich einzureden. „Wenn er mir etwas tun wollte, hätte er schon lange dazu Gelegenheit gehabt. Er würde nicht noch weiter und tiefer in den Wald fahren.“ Ich habe Angst. Franc spricht auch nicht mehr und schaut starr geradeaus, als würde er selbst nicht genau wissen, wohin er fahren solle. Eine beklemmende Stille breitet sich aus. Meine Knöchel treten weiß hervor, so fest umklammere ich meine Hände, als könnte ich mich an mir selbst festhalten. „Bloß jetzt nicht durchdrehen, Laura, ganz ruhig bleiben!“, denke ich gebetsmühlenartig. Da, endlich, endlich führt der Waldweg auf eine Lichtung. Das einfallende Licht beruhigt mich und ich schöpfe Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Wir fahren über eine Kuppe und mein Blick fällt auf ein wunderschönes Bauernhaus, das schönste Bauernhaus, das ich je sah, auch wenn dieses ziemlich verfallen wirkt. Ich atme so hörbar auf, dass Franc mich fragend von der Seite ansieht. Ich erkläre, dass ich großen Durst habe, was stimmt, denn meine Kehle ist wie ausgetrocknet.
Als wir parken, umringt uns eine Schar Kinder. Ich steige aus und bin einfach nur glückselig, meiner eingebildeten Gefahr entronnen zu sein. Hühner laufen herum, ein Hund kommt schwanzwedelnd auf mich zu und die 4 Kinder stellen sich artig der Reihe nach auf und begrüßen mich allerliebst mit zwei Küsschen auf die Wange und mit „Bonjour, Madame!“ Die Eltern begrüßen mich ebenso herzlich und ich bekomme heißen Tee zu trinken und dazu herrliches Weißbrot, dick mit bester Landbutter bestrichen. Ein wahrer Genuss! Danke, Franc, Danke von Herzen Santiago!
Nach viel französischem Palaver, wovon ich nur Satzfetzen verstehe, kommt der Abschied, der so herzlich ist, als würden sich langbekannte Freunde verabschieden.
Auf der Fahrt bis zu meinem vorläufig endgültigen Ziel vor meinem Weg bin ich gelöst und heiter, gesättigt und zufrieden.
In Oloron angekommen möchte ich Franc beim Tanken das Benzin bezahlen, was er nicht zulässt. Er lässt sich nur von mir auf eine Pizza einladen, nachdem ich meinen Pensionsschlüssel geholt habe. Beglückt, nun doch schadlos und gut hier angekommen zu sein, stoße ich mit Franc dankbar auf seinen Freundschaftsdienst an. Er scheint jedoch meine ausgelassene, heitere Stimmung falsch zu deuten, da er nun betont, wie müde er sei und dass es doch nur recht von mir sei, ihn in meiner Pension etwas ausruhen zu lassen. Irgendwann schaffe ich es dann doch, ihm sein Ansinnen auszureden, mich von ihm zu verabschieden und allein in meinem Pensionszimmer anzukommen. Todmüde falle ich aufs Bett. Das war ein anstrengender, aber spannender Start meines Jakobsweges.
Jetzt geht’s los: Auf dem Somport-Pass in den Pyrenäen
Morgens, nach einem einfachen Frühstück in meiner einfachen Pension, die mir später im Vergleich zu den Herbergen jedoch als Sternehotel in Erinnerung bleiben sollte, fahre ich mit dem Bus hinauf zum Passo de Somport. Der Bus hält genau auf der Passhöhe. Es liegt Schnee. Doch nun fängt es an zu regnen. Es ist kalt hier oben auf 1632 Meter über dem Meeresspiegel. Auf einem Kilometerstein steht: „858 km Santiago“ und blau-gelbe Hinweisschilder zeigen den Beginn des Aragonischen Weges an. Die Etappe vom Somportpass nach Jaca ist nicht nur lang – eine der längsten auf dem Jakobsweg – und anstrengend, sie ist auch die erste. Mein Rucksack ist schwer, die Hände, trotz Handschuhen, eiskalt und der Regen peitscht mir ins Gesicht. Ich stapfe durch den Schnee und denke mir immer wieder: „Warum tust Du Dir das an, Laura?“. Nur meine Befürchtung, evtl. den Weg nicht zu finden, beweist sich als unnötig. Überall gibt es Hinweisschilder in Form einer Muschel oder gelber Pfeile, die überall aufgemalt sind, auch auf Felsbrocken oder an Baumstämmen. Und ich treffe auf andere Pilger. Hier oben allerdings nur auf zwei weitere „Verrückte“, die sich das hier antun. Bertl aus München, wie klein ist
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