Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
in Canfranc-Estación zu unterbrechen und diese Etappe in zwei Tage aufzuteilen!“ Na wunderbar! Jetzt bin ich jedoch schon so weit gekommen, dass eine Unterbrechung für mich nicht mehr in Frage kommt. Ich sammle mich und reiße mich zusammen. Ich weiß aus Erfahrung, dass ich immer noch Kapazitäten habe, auch wenn ich glaube, am Ende zu sein. Und ich schaffe es!
Total durchnässt und unter Aufwendung all meiner Kräfte komme ich in der Herberge in Jaca an. Es ist ein modernes Rifugio in einer alten Pilgerherberge. Ja, es ist modern! Es gibt Heizkörper! Das sollte auch eine der wenigen Herbergen auf dem Weg bleiben, die diesen Luxus anzubieten haben. Über allen Heizkörpern hängen die nassen Kleidungsstücke der Pilger. Andere nutzen ihre Stöcke, um daran die klatschnassen Wanderjacken aufzuhängen. Es sind ein paar dieser ganz langen Pilgerstöcke darunter und die darüber gehängten Jacken schweben hoch in der Luft. Es sieht komisch aus. Ich bekomme ein Bett zugewiesen, das „luxuriös“ mit einer Trennwand von den anderen 14 Betten abgeschirmt ist. Ich bin dafür sehr dankbar. Ein bisschen Intimität tut mir jetzt gut. Ich leere den Inhalt meines Rucksacks auf dem Bett aus. Alles ist nass. Innen wie außen. Selbst die Geldscheine im Brustbeutel sind nass. Nur mein Mini-Tagebuch hatte ich, Gott sei Dank, in eine extra Plastiktüte gesteckt. Ich habe viel, wofür ich heute dankbar sein kann. Ich habe mich überwunden! Ich habe es gestartet, mein großes Projekt: „Jakobsweg!“ Und ich hatte diesen ersten Tag gemeistert. In mein Büchlein schreibe ich: „Rucksack innen so nass, wie außen! Das war wohl der heftigste Tag. (Hoffe ich!) Dusche hat heißes Wasser = Belohnung!“
Zu viel Wasser auf langen 37 Kilometern
Ich schlafe wie ein Baby. Am nächsten Tag geht es nass weiter. Bertl schimpft mich wegen meiner leichtsinnigen Fluss-Überquerung nochmal aus. Er hat sich wirklich Sorgen um mich gemacht. El Brasilero springt übermütig in die Pfützen. Wir gehen über schlammbedeckte Wege, über Höhen und durch Bäche ohne Brücken und sind nach kurzem Marsch wieder so durchnässt wie am Vortag. Wir machen eine kurze Pause in einem Bushäuschen und essen unser Brot. Danach komme ich kaum mehr auf die Füße. Ich schwanke die ersten Meter. Bertl geht es genauso. Wir schauen uns nur an und sind froh, das nicht alleine durchstehen zu müssen. Mit der Zeit laufen wir uns wieder ein. Bertl läuft wie ein Uhrwerk. Ich bin froh, dass wir ein ähnliches Tempo haben. Wir marschieren ohne weitere Pause, immer durch den Regen, mit kalten Händen und laufender Nase. Zum Schluss der heutigen Etappe nach Arrés geht es zu allem Überfluss noch einmal ganz steil eine Asphaltstraße hinauf. Jeder Schritt tut weh. Die Fußsohlen brennen höllisch.
In der Hütte oben angekommen, eigentlich ein idyllischer Ort, was ich aber im Moment nur am Rande wahrnehme, kann ich kaum mehr auf meinen Füssen stehen. Die Schultern und der Rücken schmerzen und die Füße wollen einfach nicht mehr. Ich friere ganz fürchterlich. Das ist wohl die Schwäche. Ich wanke hinter dem Herbergsvater in den Schlafraum. Lauter Stockbetten stehen verschachtelt in dem engen Raum. Wir sind nur sieben Pilger in der ganzen Herberge. Ich kann mir mein Bett aussuchen. Ich strecke mich auf dem nächstbesten Bett aus und decke mich mit der kratzigen, starren Wolldecke zu. Um meinen Schlafsack auszupacken fehlt mir die Kraft.
Der Herbergswirt kocht für uns alle einen herrlich dampfenden Eintopf. Er ruft zu Tisch. Ich kann aber nicht auf meinen Füssen stehen. Sie verweigern einfach ihren Dienst. Ich denke, wie kurz mein Jakobsweg doch war und dass ich jetzt schon nicht mehr weiter gehen kann. Mir ist zum Heulen. Der Herbergsvater scheint das zu kennen. Er hilft mir von meinem Bett herunter, setzt mich auf eine Bank, holt eine große Plastikschüssel mit heißem Wasser, streut irgendwelche Kräuter hinein, zieht mir die Socken aus, steckt mit Nachdruck meine Füße ins Wasser und massiert mir meine schmerzenden Füße. Er hat heilende Hände und ist für mich sofort ein Heiliger. Mir fällt der Spruch ein: „Es begegnet so manchem Pilger auf dem Weg der Heilige Santiago persönlich“ – ja und das glaube ich jetzt ganz fest, dass „ER“ es ist.
Am kommenden Tag stehe ich auf, teste vorsichtig die Tragfähigkeit meiner Füße und kann es kaum glauben: Nichts! Kein Schmerz! Ich fasse es nicht, laufe zum Herbergsvater und falle ihm dankbar um den Hals. Er
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