Unirdische Visionen
Letheren zum Cameo Theater in der vierten Straße gefahren, sah ihn aber nicht das Kino betreten. Das Haus ist durchsucht worden, und die Frau an der Kasse und die Platzanweiserinnen haben wir gehörig ausgequetscht. Hat uns nicht weitergebracht. Neben dem Kino ist eine Bushaltestelle. Dort sind wir auch allen Leuten auf die Nerven gefallen. Ohne Ergebnis!«
»Weitere Schritte haben Sie nicht unternommen?«
»Doch. Ich habe das Schatzamt angerufen und ihnen die Nummern der einundvierzig Scheine gegeben. Außerdem läuft in acht Staaten eine Großfahndung nach einem Verdächtigen, der Letheren ähnlich sieht. Unsere Jungens hier lasse ich mit einer Photographie bewaffnet alle Hotels und Pensionen absuchen.«
Rider lehnte sich in seinen Sessel zurück, der in Protest aufquietschte.
»Anerkannt guter Charakter, finanzielle Sicherheit, Fehlen eines vordergründigen Motivs sind weniger überzeugend als Zeugenaussagen. Es kann irgendeine geheime Veranlassung vorliegen, die ihn glatt aus dem Geleis wirft. Vielleicht braucht er dringend zehn- oder zwölftausend Dollar in bar und zwar auf der Stelle, so daß er sie nicht auf dem üblichen Wege durch Kündigung einer Versicherung, Verkauf von Aktien und so weiter flüssig machen kann. Was zum Beispiel, wenn er innerhalb von vierundzwanzig Stunden Lösegeld braucht!«
Harrison riß die Augen auf. »Sie meinen, wir sollten uns Ashcrofts und Letheren’s Verwandtschaft vornehmen?«
»Ich glaube eigentlich nicht, daß es der Mühe wert ist. Ein Kidnapper riskiert die Todesstrafe. Und warum für lumpige zwölftausend, wenn er sich ein weit lohnenderes Opfer aussuchen kann; für eine viel höhere Summe.«
»Stimmt«, gab Harrison zu. »Aber es kostet mich ja nicht viel. Die Nachforschungen sind lediglich eine Sache der Zusammenarbeit von einigen Polizeistationen.«
»Wenn Sie wollen. Vielleicht hat Letheren einen Tunichtgut von Bruder, der ihm sehr ähnlich sieht. Oder er ist die leidende Hälfte von eineiigen Zwillingen.«
»Ich habe Ihnen schon erzählt, daß nach ihm gefahndet wird, mit Hilfe von Letheren’s Photo«, unterbrach Harrison die Stille.
»Glauben Sie, daß es etwas nützt?«
»Schwierig zu sagen. Der Bursche kann geschickt wie ein Kostümbildner sein.«
»Nur zu richtig. Die Ähnlichkeit ist, wenn nicht eine tatsächliche Blutsverwandtschaft besteht – und dieser Möglichkeit gehen Sie ja sowieso schon nach – kaum echt. Und dieser Künstler kann sich auch in beliebig viele Personen umschminken, die ungefähr seine Statur haben. Ehrlich gesagt, ich sehe keine Möglichkeit, wie wir sein wahres Aussehen herausbringen sollen.«
»Ich auch nicht«, sagte Harrison niedergeschlagen.
»Wir haben nur eine Chance. Zehn zu eins läuft er jetzt, genau wie vor dem Überfall, in seiner wahren Gestalt herum. Warum sollte er sich, während er die Sache plante, verkleiden. Das Ganze verlief so reibungslos, daß es vorher bis ins kleinste ausgetüftelt worden sein mußte. Auf einmal konnte er nicht das Aussehen Letherens, wie die Dakin Gesellschaft die Lohngelder abzuholen pflegt, und so weiter herauskriegen. Es sei denn, er wäre ein Gedankenleser!«
»Ich glaube nicht an Gedankenleser«, erklärte Harrison. »Auch nicht an Astrologen, Wahrsager und ähnliches Gesindel.«
Rider ignorierte den Einwurf und spann seine Gedanken weiter. »So muß er sich für eine gewisse Zeit vor dem Überfall in der Stadt oder in ihrer Nähe aufgehalten haben. Ihre Jungens mit ihrer Photographie können nicht weiterkommen, weil er nicht wie auf dem Photo ausschaut. Das Problem ist, herauszufinden, wie er ausgesehen hat und seinen Unterschlupf auszumachen.«
»Leichter gesagt als getan.«
»Nur nicht den Kopf hängen lassen, Chief! Schließlich kommen wir doch zu etwas, und wenn es auch nur die Gummizelle ist.«
Er versank in Schweigen und brütete vor sich hin. Harrison konzentrierte sich auf die Zimmerdecke. Es wurde ihnen nicht bewußt, aber sie setzten den immer bereitstehenden Ersatz für den seltenen Blitz des Genies in Betrieb. Rider öffnete ein paar Mal den Mund, wie um etwas zu sagen, überlegte es sich anders und hing wieder seinen Gedanken nach.
Endlich fragte Rider: »Was war mit der Tasche?«
Harrison fuhr bestürzt herum. »Da bin ich überfragt. Habe ich glatt vergessen«, machte er sich Vorwürfe.
»Aber das haben wir gleich nachgeholt.« Er wählte eine Telephonnummer und sagte: »Mr. Ashcroft, ich habe noch eine Frage. Wegen der Tasche – war es wirklich
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