Unruhe: Der erste Fall für Kommissar Steen (German Edition)
musste er nach zwei Arten von Spuren suchen. Spuren, die ihm etwas über Enver Davidi erzählten, und Spuren, die bestätigten, dass er nicht der Erste war, der das Zimmer durchsuchte. Er wusste, dass Enver ein paar Jahre lang gesessen hatte, und er wusste, dass er süchtig gewesen war. Diese Kombination machte den Makedonier zu einem Experten, wenn es darum ging, Dinge zu verstecken – Gefängnisinsassen kamen auf die unwahrscheinlichsten Orte, um ihren Stoff zu verstecken.
Das Zimmer war groß und ziemlich trist. Durch die schmutzigen Fenster hindurch waren die Busse und Autos auf der Nørrebrogade zu hören, aber ansonsten war es still. Ein trockener und toter Geruch aus Asche und Kunststoff ergab zusammen mit der statischen Elektrizität der vergilbten, großkarierten Gardinen und dem Teppichboden den Eindruck, in eine Art Zeitfalle geraten zu sein, in der die Welt da draußen unwillkommen war. Auf dem Doppelbett befand sich ein offen stehender Koffer der Marke Caravelle – kaum mehr als eine vergrößerte Attachémappe. Axel bückte sich und schaute unters Bett. Nichts. Er hob die zusammengefalteten Kleidungsstücke an, diein dem Koffer lagen, aber darunter befanden sich nur ein Gürtel, ein Automagazin und ein Taschenbuch mit dem Titel The Concrete Blonde . Daneben lagen ein Sweater und eine Jeans. Auf einer kleinen dunklen Kommode aus Mahagoniimitat standen ein Fernseher und daneben eine gerahmte Fotografie. Obwohl das Bild fünf Meter entfernt stand, war es nicht schwer, Laila und einen Jungen zu erkennen, der Louie sein musste. Axel nahm es in die Hand. Es war alt – der Junge sah aus, als sei er zwei oder drei Jahre alt.
Er sah sich in dem Raum um; abgesehen von dem Koffer, dem Sweater und der Fotografie in dem Rahmen hatte Enver Davidi keine Spuren hinterlassen.
Der Kühlschrank war leer. Er ging in die Hocke und stellte fest, dass die Füße tiefe Abdrücke in dem dicken blauen Kunststoffteppich hinterlassen hatten. Der Kühlschrank musste also ein kleines Stück verschoben worden sein. Höchstwahrscheinlich von der Wand abgerückt, um nachzusehen, ob etwas an die Rückseite geklebt war. Axel legte den Kopf an die weiße Raufasertapete und versuchte, hinter den Kühlschrank zu sehen. Er konnte lediglich das Kühlelement entdecken.
Der Kulturbeutel? Wo war er? Es gab eine Küchenecke mit Wasserkocher, Thermoskanne und zwei kleinen Kochplatten in einer Ausbuchtung zum Nachbarzimmer, aber keine Zahnbürste. Außer der Kommode und dem Bett, das aus zwei aneinandergeschobenen Einzelbetten bestand, gab es einen weißen Kleiderschrank, zwei Sessel aus Holz mit kariertem Bezug und einen Sofatisch älteren Datums, in dessen Holz Gläser und Flaschen weiße und schwarze Ringe hinterlassen hatten. An der Wand hing ein Plakat mit Monets Seerosen im Garten von Vincennes, ein blauer, implodierender Morast aus Farben. Was hatte eine solche Schönheit in einem solchen Loch zu suchen?
Er schaute hinter sämtliche Möbel, ohne etwas zu finden. Dann hob er die Ränder des Teppichbodens an, um zu prüfen, ob es in dem Staub darauf Anzeichen gab, dass jemand vor ihm da gewesen war und dasselbe getan hatte. Er suchte das Bettab, doch auch unter den Kastenmatratzen fand er nichts. Dann ging er zum Fenster und sah sich die Gardinen genauer an, die einen sauren Geruch nach Zigarettenqualm ausdünsteten, und eine Staubwolke traf ihn, als er sie zur Seite schob und zu dem Gardinenkasten hochsah. Gegenüber lagen zahlreiche Wohnungen. Die Bewohner würden befragt werden müssen – genau das Richtige für Darling und seinen Sinn für Akkuratesse und peinliche Genauigkeit.
Er wollte sich schon umdrehen und das Zimmer verlassen, als ihm eine dünne Schnur auffiel, die über die zwanzig Zentimeter breite Fensterbank verlief. Axel öffnete das Fenster und streckte den Kopf hinaus. Die Schnur war an einer Metallöse befestigt und verschwand unter dem Fensterrahmen. Er folgte ihr mit den Fingern und bekam etwas zu fassen. Ein kleines Plastiketui, mit Gaffa-Tape umwickelt, um es wasserdicht zu machen. Er schloss das Fenster und setzte sich in einen der Sessel. Dann öffnete er das Päckchen. Darin lagen ein Pass und ein Bündel Geldscheine. Zwanzig frisch gedruckte dänische Tausendkronenscheine. Der Pass war auf einen Fadil Osmani ausgestellt, dessen Daten mit denen Davidis übereinstimmten, und zeigte den lächelnden Inhaber auf einem nagelneuen Foto.
Was verbirgt sich hinter diesen Augen? fragte Axel sich. Wer bist du, und
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