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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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oder Raki. Sie hatten einander die Arme um die Schultern gelegt, manchmal tanzten sie, sie steckten die Köpfe zusammen, und sie redeten.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Derya mürrisch. »Geht mich nichts an.«
    Sergul nickte leicht. »Das will ich für dich hoffen, Derya. Du bist aber noch nicht raus aus dem Spiel.«
    Sergul war plötzlich ganz ernst geworden, sie stand auf, blickte kurz auf Derya hinunter, als wollte sie etwas sagen, ging dann aber wieder hinein.
    Derya blieb sitzen und sah Sergul nach. Der kleine Hintern in der Jeans schwang sanft hin und her, bevor die Dunkelheit des langen Flures, der ins Innere des Hauses führte, ihre Cousine verschluckte. Derya wollte nicht darüber nachdenken, was Sergul mit ihrer Bemerkung gemeint hatte. Sie wollte überhaupt nicht über dieses Fest oder die Leute nachdenken. Sie wollte nur, dass Vali sich endlich meldete. Zum Glück begann die Schule in einer Woche wieder, und sie würden sich endlich sehen. Sie schrieb ihm eine SMs , obwohl sie wusste, er würde nicht antworten. Wahrscheinlich hatte seine Mutter ihm verboten, das Handy mit nach Frankreich zu nehmen, wegen Auslandstarif und Telefonkosten und so. Das war typisch für Valis Eltern. Sie schenkten ihm ein iPhone und ein iPad und den ganzen coolen Kram, aber dann meckerten sie dauernd rum, dass er zu viel spielte und zu viel im Internet war und dass Facebook gefährlich war und die ganze hysterische Pädagogenscheiße.
    Derya schrieb ihm, dass sie in die Sterne sah und an ihn dachte. Und als sie die SMS verschickte, küsste sie ihr Handy. Sie schloss dabei die Augen und versuchte, sich Valis Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Die blonden Wuschelhaare und die grünen Augen. Und die weichen Lippen. Dann stand sie auf und ging hinein. Der Bungalow, in dem die Feier stattfand, war seltsam. Seltsam für ihre Begriffe, denn auf dem Weg hierher hatte Derya gesehen, dass der Großteil der Häuser so aussah. Die wenigsten waren wirklich fertig, und beinahe kein einziges Haus sah so aus, wie sie es aus den Vororten von Berlin kannte: mit Carport, weißem Zaun und angelegtem Garten, Vordach, Terrasse und Balkon.
    Die Wände des Bungalows waren nicht verputzt, es waren rote aufeinandergestapelte Ziegel, zwischen denen der Mörtel hervorquoll. Türen und Fenster gab es nicht, Licht war auch nur in der unfertigen Küche, dem einen Klo und dem großen Saal vorhanden, in dem die Feier stattfand. Derya ging durch den langen dunklen Flur und ließ die Finger an der rauen Wand entlangstreifen, als sich auf einmal eine kräftige Hand auf ihren Mund legte und so fest drückte, dass sie augenblicklich keine Luft mehr bekam. Ein Arm umklammerte ihren Brustkorb, so dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Aber sie machte auch keine Anstalten dazu. Sie stand erstarrt vor Schock und blickte mit angstgeweiteten Augen auf den hellen Fleck am Ende des Ganges, wo im gelben Licht die Feiernden tanzten. Sie sah den Rücken ihrer Mutter, der sich im Takt der Musik wiegte. Deryas Körper verkrampfte sich, als die heisere Stimme an ihr Ohr drang. »Ich weiß, wer du bist, du Hure.«
    B ERLIN- M OABIT, O LDENBURGER S TRASSE,
EIN M ITTWOCH IM N OVEMBER, KURZ VOR SECHS U HR
    Wieder war sie zu spät aufgestanden, eine halbe Stunde, daran war die verdammte Schlummerfunktion schuld. Ruth Holländer drehte sich in der engen Dusche um und ließ den warmen Strahl auf das Gesicht prasseln. Die Haut am Rücken müsste sich schon schälen, so lange hatte sie regungslos im heißen Wasser gestanden und versucht, wach zu werden. Ruth drehte das Gesicht zur Seite und griff nach dem Shampoo. Die Plastikflasche fühlte sich verdächtig leicht an, und tatsächlich, als sie versuchte, das Shampoo auf den linken Handteller zu spritzen, gab die Flasche nur ein empörtes Schnaufen von sich. Ruth schüttelte sie verärgert und drückte erneut, aber außer ein paar lächerlichen Spritzern Restflüssigkeit war in dem Behälter nur noch Luft. Das konnte nicht wahr sein, rechnete Ruth, sie hatte das Shampoo vor nicht mal einer Woche gekauft – und jetzt sollte es schon leer sein? Sie blinzelte durch den Schwall heißen Wassers und durchwühlte die vielen großen und kleinen Plastikflaschen, die dichtgedrängt auf dem Regal in der Ecke der Dusche standen, aber jede Flasche, die Shampoo beinhalten sollte, war leer. Ruth griff schließlich genervt nach der Tube mit ihrem Duschgel, aber diese glitt ihr aus den Fingern und rutschte auf den Keramikboden. Sie bückte sich, drehte

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