Unser Mann in London
an einem Tisch.
Steve hatte sie einfach angerufen und zu einem Überraschungsbesuch überredet.
Wir hatten manchmal über Anneke gesprochen. «Oh, du bist absolut in sie verliebt, warum fragst du nicht, ob sie dich einmal besuchen will?»
«Nein, Steve, so ist das nicht zwischen uns. Wir verstehen uns nur gut.»
«Aha, ihr versteht euch gut. So nennt man das heute also.»
«Steve!»
Mein großer Freund Steve Rowley zeigt mir, was es im Arsenal-Fanshop alles gibt.
Als Minderjähriger hatte ich noch kein Mobiltelefon kaufen dürfen, deshalb ließ Steve mein Handy auf seinen Namen laufen, und die Abrechnung mit allen Nummern, die ich angerufen hatte, ging auch an ihn. Er hatte einfach nachgeschaut, welche Nummer mit Siegener Vorwahl ich besonders oft angerufen hatte. Er wählte diese Nummer und sagte: «Hallo, hier ist Steve Rowley.» Als ob man ihn in Siegen kennen müsste. Warum komme Anneke nicht einmal nach London, sagte Steve, ich würde mich sicher freuen.
Zur Sicherheit brachte Anneke Farhad mit. Falls sich dieser unbekannte Steve aus London als noch merkwürdiger erweisen sollte.
Ich zeigte Anneke die Orte, die ich von Steve kannte, die Restaurants und die Kinos der Vororte. Ins Stadtzentrum fuhren wir wie Touristen. Die meisten Ausländer, die nach London ziehen, werden von den Lichtern der Nacht in Soho, dem Schwung Notting Hills oder dem rauen Charme des East Ends angezogen. Sie stürzen sich ins Leben, infiziert von der Glückseligkeit, die diese Stadt ausstrahlt. Für mich blieb dieses London fern, ein seltenes Ausflugsziel, wenn Besuch kam. Dann kaufte ich mir am Piccadilly Circus ein Poster von Mariah Carey für mein Zimmer und nahm wieder die U-Bahn nach Norden. Barnet lag einen Kilometer hinter der letzten U-Bahn-Station.
Zumindest äußerlich begann ich langsam, mich bei Arsenal zu integrieren. Ich hatte immer Pullover und Jeans getragen und geglaubt, das sei die gewöhnliche Kleidung unter Jugendlichen. Schon nach wenigen Tagen bei Arsenal wusste ich es besser. «Du hast einen schrecklichen Modegeschmack!», stichelte Steve. Ich sah mich um und entdeckte den offensichtlich letzten Londoner Schrei: Die Jungs trugen Polohemden mit hochgestelltem Kragen, Jogginghosen und glänzende, farbenprächtige Turnschuhe mit offenen Schnürsenkeln. Das konnte es wohl auch nicht sein, dachte ich. Nur ein paar Wochen später lief ich herum wie ein authentischer englischer Jugendlicher. Nike hatte mir einen Ausrüstervertrag gegeben, und ich bestellte reichlich Jogginganzüge und Turnschuhe, die ich Tage zuvor als Freizeitkleidung noch unmöglich gefunden hatte.
London hat eine unglaubliche Kapazität, die unmöglichsten Modetrends zu setzen und sich jedes Mal aufs Neue davon zu überzeugen, dass das Hässliche doch schön sei. Wir Profifußballer waren gerne schnell dabei, wenn es galt, sich mit solchen Trends lächerlich zu machen.
Nach dem Training sammelten sich die Jungs oft um das Auto von Stacky, unserem hyperaktiven Torwart. Er ertrug die Stille nicht, er musste permanent Sprüche reißen, auf Schultern klopfen, spüren, dass wir doch zusammengehörten. Aus seinem Kofferraum verkaufte er, was man als Londoner Junge haben musste: gefälschte Gucci-Schuhe mit dicker Goldbrosche oder Slipper von Patrick Cox für die Samstagnacht. Die Ware, sagte Stacky, habe er gefunden, als sie vom Lastwagen fiel.
Die Patrick-Cox-Slipper waren selbstverständlich barfuß zu tragen. «Aber ihr Deutschen zieht natürlich Tennissocken dazu an, was, He-Man?»
Ich lernte zu lachen.
Ich fühlte mich weiterhin etwas unwohl dabei, denn ich ahnte, dass oftmals doch ein Grad Bösartigkeit in den Scherzen steckte. Aber ich begriff die Idee hinter der englischen Besessenheit, permanent auf alle Art lustig zu sein. Ein Land, das über alles lachen kann, ist ein besseres Land. Denn wer lernt, auch Schwierigkeiten, Niederlagen oder Grausamkeiten mit Humor zu ertragen, gewinnt an Gelassenheit. Dabei lernte ich in meinen Anfangsmonaten vor allem die brachialste Form des englischen Humors kennen, den
banter
. Geplänkel oder Neckerei sind wohl angemessene Übersetzungen für
banter
, andererseits klingen die deutschen Wörter viel zu harmlos für einen Spaß, der sich oft gegen eine Person richtet und denjenigen vor die Herausforderung stellt, über sich selbst zu lachen, so weh es auch tut.
Englische Fußballteams sehen sich als Zentralorgane des
banter
, hier muss es immerzu brachial lustig zugehen. Ich hatte Mitspieler wie
Weitere Kostenlose Bücher