Unser Mann in London
Jimmy Bullard, der es zu seiner Spezialität machte, im Hotel vor den Spielen die Kollegen zu löschen. Er riss den Feuerlöscher von der Wand und hielt auf den Spieler neben ihm drauf, bis der unter weißem Schaum verschwand.
Mittlerweile ist der
banter
globalisiert worden. Auch in deutschen Fußballmannschaften schütten sich die Spieler heimlich Salz in die Elektrolytgetränke, wie ich beim FC St. Pauli feststellen durfte. Doch die englischen Auswüchse bleiben unerreicht.
Als ich mit 20 Jahren einige Monate von Arsenal zum FC Wimbledon ausgeliehen wurde, schüttelten mir die neuen Mannschaftskollegen an meinem ersten Trainingstag freundlich die Hand, und ich glaubte, das wäre schon die Begrüßung gewesen. Vor dem Training ging ich noch kurz zum Physiotherapeuten ins Behandlungszimmer, um meine Zehen verbinden zu lassen. Ich habe für den Fußballsport solch ungeeignete breite Füße, dass ich mir ohne Tapeverband immer Blasen laufen würde. Schließlich trat ich ins Freie. Wimbledons Trainingsplatz liegt mitten auf einer Wiese in einem öffentlichen Park. Neben unserem Spielfeld trabten auch schon einmal Reiter mit ihren Pferden vorbei. Diesmal aber, vor meinem ersten Training, starrte ich nur auf das Tor. Torwart Kelvin Davis trainierte schon. Wuchtig warf er sich nach den Bällen, es platschte, wenn er auf dem matschigen Rasen landete. Er trug meinen Pullover. Er hatte ihn sich vom Kleiderhaken in der Umkleidekabine geholt, während ich beim Physiotherapeuten vorbeischaute. Mit weißem Tapeband hatte Davis die Rückennummer 1 auf meinen Pullover geklebt. Und schon wieder segelte er damit in den Matsch. Das war sein wahrer Willkommensgruß an mich.
Nach dem Training lag er beim Physiotherapeuten auf der Massagebank, und ich zeigte ihm, dass ich schließlich in Wimbledon, in England angekommen war. Ich schmierte ihm eine halbe Tube Wärmecreme in die Unterhose. Dann fuhr ich im kalten Londoner Februarregen ohne Pullover, nur im T-Shirt nach Hause.
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Vier Die Wasserhahn-Fraktion
Das Händewaschen in London war eine Herausforderung. An den Waschbecken gab es getrennte Hähne für kaltes und warmes Wasser, und ich stand ratlos davor: Was taten Menschen, die sich ihre Hände nicht eiskalt oder brühend heiß reinigen wollten? Die Wasserhähne waren in solch einem Sicherheitsabstand zueinander ganz rechts und ganz links am Becken befestigt, dass die beiden Wasserstrahlen sich garantiert nicht vermischen würden.
Anneke entdeckte schließlich eine Erklärung dafür: Die Engländer hatten ursprünglich eine andere Händewaschtaktik als wir Kontinentaleuropäer gepflegt. Sie hielten einst nicht die Hände unter den Wasserstrahl, sondern ließen das Wasser ins Becken laufen und tauchten dann die geseiften Hände hinein. Ich brachte es auf einen einfacheren Nenner: Die Wasserhähne waren getrennt, weil es schon immer so war. Und was schon immer so war, änderte man nicht so einfach in diesem Land. Mit diesen Wasserhähnen hatte England schließlich vor Jahrhunderten ein Empire gegründet.
Ich entwickelte zwei Händewasch-Strategien. Entweder ich öffnete nur den Warmwasserhahn. Dann musste ich äußert schnell sein und die wenigen Sekunden nutzen, die das Wasser brauchte, um von lauwarm zu dampfend heiß zu wechseln.
Oder ich drehte beide Wasserhähne auf und bewegte meine Hände rasend schnell unter den beiden Hähnen hin und her. Dabei musste man jedoch sehr geschickt sein. Es war darauf zu achten, dass man die Hände immer zuerst unter das kalte Wasser hielt und in den zu Schiffchen geformten Handflächen genug kaltes Wasser mitnahm, um den Aufprall des heißen Wassers auf die Haut auszuhalten.
Beide Strategien hatten dieselbe Konsequenz: Ich wusch mir meine Hände in London nur noch sehr kurz.
Die massenhafte Einwanderung polnischer Klempner nach der EU -Osterweiterung im Jahr 2004 und die Einsicht einiger Engländer, dass man sich beim Händewaschen nicht zwangsweise verstümmeln muss, führten dazu, dass sich der englische Wasserhahn heute auf dem Rückzug befindet. Doch gibt es noch heute in England eine stimmgewaltige Schicht der Traditionsbewahrer, die in jeder Veränderung einen Verlust oder gar eine Bedrohung sehen. Ich nenne sie die Wasserhahn-Fraktion. Wie ihre Welt aussieht, wie sie die Welt sehen, lässt sich jeden Morgen wieder in der
Daily Mail
nachlesen.
Ich entdeckte die Zeitung bei Arsenal in der Klubkantine. Ansonsten lagen dort meistens nur der
Daily Star
,
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