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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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zu machen –« Ich hätte ihm sein schmeichlerisches Lächeln in den Schädel schlagen können. »Ach, und für den Fall, daß der Doktor auftaucht, wären Sie bitte so freundlich, uns Ihre neue Telefonnummer zu geben? Vielen Dank.«
    Er kritzelte, ich diktierte, Luck sah zu.
    »Hübsches Klavier«, sagte Luck. Er war plötzlich zu nah bei mir, und zu groß.
    Ich sagte nichts.
    »Sie spielen doch selbst?«
    »Das ist bekannt.«
    »Ihre Frau ist nicht da?«
    »Ich habe keine Frau.«
    »Genau wie Pettifer. In welcher Abteilung waren Sie noch gleich? Wo im öffentlichen Dienst? Ich hab’s vergessen.«
    »Von einer Abteilung habe ich nichts gesagt.«
    »Also, was dann?«
    »Ich war dem Finanzministerium unterstellt.«
    »Als Sprachwissenschaftler?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Und das war Ihnen nicht zu frustrierend? Das Finanzministerium? Öffentliche Ausgaben stutzen, Lohnrunden einfrieren, kein Geld mehr für Krankenhäuser? Ich fände das deprimierend.« Auch darauf verweigerte ich eine Antwort. »Sie sollten sich einen Hund halten, Mr. Cranmer. So ein Haus, das schreit doch förmlich danach.«
    Der Wind hatte sich vollständig gelegt. Es regnete nicht mehr, und über dem Boden hingen Nebelschleier, die aus den Rücklichtern des Peugeots herbstliche Feuer machten.

2
    Ich gerate nicht so leicht in Panik, aber noch nie war ich so nah daran wie in dieser Nacht. Auf wen von uns hatten sie es abgesehen – auf Larry oder mich? Oder auf uns beide? Wieviel wußten sie von Emma? Warum hatte Tschetschejew Larry in Bath besucht, und vor allem: wann? Wann? Diese Polizisten waren nicht auf der Suche nach irgendeinem linken Dozenten, der mal für ein paar Tage abgetaucht war. Sie verfolgten eine Spur, sie witterten Blut, sie jagten jemanden, der ihre aggressivsten Instinkte weckte.
    Aber für wen hielten sie ihn – Larry, meinen Larry, unseren Larry? – Was hatte er getan? Dieses Geschwätz von Geld und Russen und Tschetschejew, von mir und Sozialismus und noch einmal von mir – wie konnte Larry irgend etwas anderes sein als das, was wir aus ihm gemacht hatten: ein zielloser englischer Revolutionär aus dem Mittelstand, ein ewiger Dissident, ein Amateur, ein Träumer, ein ständiger Verweigerer; ein zäher, hilfloser, lüsterner, verkommener, halbwegs kreativer Versager, der zu klug war, ein Argument kaputtzumachen, zu störrisch, sich mit einem fehlerhaften zufriedenzugeben?
    Und für wen hielten sie mich – diesen alleinstehenden pensionierten Staatsbeamten, der seine Fremdsprachen mit sich selber spricht, Wein produziert und in seinem reizvollen Weingarten in Somerset den guten Samariter spielt? Sie sollten sich einen Hund halten , also wirklich! Wie kamen sie darauf, nur weil ich allein lebte, könnte mir etwas fehlen? Verfolgten sie mich , nur weil sie Larry oder Tschetschejew nicht zu fassen bekamen? Und Emma – meine zarte oder nicht so zarte verschwundene Herrin von Honeybrook – wie lange noch, bis auch sie den beiden ins Visier geriet? Ich ging nach oben. Nein, falsch. Ich rannte nach oben. Das Telefon stand neben meinem Bett, aber als ich den Hörer abnahm und wählen wollte, wußte ich zu meiner Demütigung plötzlich die Nummer nicht mehr, etwas, das mir selbst bei den heikelsten Operationen meines ganzen geheimen Lebens nie passiert war.
    Aber wieso war ich überhaupt nach oben gegangen? Unten im Salon stand ein einwandfrei funktionierendes Telefon, ein weiteres im Arbeitszimmer. Warum war ich nach oben gerannt? Ich erinnerte mich an einen fanatischen Dozenten, der uns während der Ausbildungszeit mit Vorträgen über Fluchtstrategien gelangweilt hatte. Wenn Menschen in Panik geraten, hatte er gesagt, fliehen sie nach oben. Treppen, Aufzüge, Rolltreppen, alles wird benutzt, Hauptsache es geht rauf und nicht runter. Wenn das Haus gestürmt wird, sind alle, die nicht vor Schreck erstarrt sind, auf dem Dachboden.
    Ich setzte mich aufs Bett. Ließ die Schultern sinken und versuchte sie zu lockern. Befolgte den Rat irgendeines Gurus aus einem bunten Prospekt zum Thema Selbstmassage und ließ den Kopfkreisen. Ich spürte keine Erleichterung. Ich ging über die Galerie zu Emmas Seite des Hauses, blieb vor ihrer Tür stehen und horchte, worauf, war mir selbst nicht klar. Das Klappern ihrer Schreibmaschine, wie es wahllos einen hoffnungslosen Fall nach dem anderen erfaßte? Ihr verliebtes Geflüster am Telefon, bis ich es nicht mehr an mich heranließ? Ihre Stammesmusik aus dem tiefsten Afrika – Guinea, Timbuktu?

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