Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Kristalle schmücken Wände, Fenster und den Klopapierhalter. O-Ton meiner Mutter: «Der hat an den Ecken so scharfe Kanten, Giftpfeile, Bente, Giftpfeile! Da ist das kein Wunder, dass du dauernd Verdauungsprobleme hast!» «Mama», sage ich, «ich hab keine Verdauungsprobleme, und wenn doch, dann, weil ich zu viel Kaffee trinke, vor meinem Fenster drei Spuren Schnellstraße verlaufen und die Nachbarn ein Baby bekommen haben!»
Meine Mutter ignoriert mich und macht weiter. «Also, Bente, Studentinnen haben ja immer so wenig Geld, da muss man was gegen tun!», sagt sie. In der rechten Ecke meines Schlafzimmers, der Finanzecke, platziert sie zwei riesige Gummibäume, die meinen Geldbeutel telepathisch dehnbarer machen sollen. Ich zucke mit den Schultern, dann ist mein weniges Geld eben in einem größeren Beutel aufbewahrt.
Jetzt läuft meine Mutter zur Hochform auf: Um meinem Single-Dasein endgültig ein Ende zu setzen, aktiviert sie die linke Ecke meines Zimmers. «Das ist die Partnerschaftsecke!», ruft sie euphorisch und drapiert eine Art Altar mit lauter mehr oder weniger offensichtlichen Phallussymbolen. Ein Obstkorb mit zwei Äpfeln und einer Banane in der Mitte, einen Bleistift und zwei Radiergummi an den Seiten, ein sehr unauffälliges Kama- sutra-Buch und einen Kalender der Chippendales. Mit Feng-Shui scheint mir das nur noch marginal etwas zu tun zu haben, aber meine Mutter strahlt. «Du wirst sehen», sagt sie, «der nächste Mann kommt bestimmt bald ins Haus!»
Der nächste Mann, der hier «ins Haus kommt», der geht sofort wieder, wenn er das hier sieht, denke ich. Doch ich sage nichts mehr, habe aufgegeben, mich zu wehren, und lasse alles nur noch geschehen.
Den Höhepunkt bildet an diesem Nachmittag die fünfstündige «Reinigung» unserer Wohnung. Meine Mutter schleicht mit brennenden Salbeiblättern durch die Räume, murmelt dabei unverständliche Beschwörungen, ab und zu vernehme ich Sätze wie: «Weiche, böser Geist.» Oder: «Das Haus muss sauber werden! Sauber!» Ich bin nur froh, dass sie nicht auch noch in Sabrinas Zimmer geht.
Mutter stellt sich auf Stühle, kriecht unters Sofa, wedelt vor dem Fenster rum und zündet dabei aus Versehen meine Gardinen an. Ich lösche lethargisch das Feuer, mich wundert nichts mehr. In der Zwischenzeit putzt meine Mutter die Kristalle. Unsere Wohnung gleicht einem Schlachtfeld, meine Mutter einer irren Kriegerin, und ich fühle mich meiner Zukunft mehr denn je ausgeliefert. Ich denke daran, wie Kinder ihren Eltern immer ähnlicher werden, je weiter die Zeit voranschreitet. Ich denke an den letzten Sommer, als ich anfing, Marmelade zu kochen, wie meine Mutter das früher immer getan hat. Ich denke daran, dass ich schon seit Monaten freiwillig mein Zimmer aufräume, um nach einer längeren Reise in ein «schönes» Zuhause zurückzukehren. Ich denke daran, dass ich das noch mit achtzehn niemals gewollt beziehungsweise es nicht eingesehen habe, irgendetwas in diese Richtung je tun zu müssen.
Jetzt steht meine Zukunft hier in Gestalt meiner Mutter vor mir, die aus den verbliebenen Salbeiblättern einen Fruchtbarkeitstee für mich kocht. Ich will keinen Tee, ich will keine Partnerschaftsecke und auch kein Yin und Yang. Ich will Ruhe! Ich möchte nicht so werden wie meine Mutter. Ich möchte mich wehren gegen meine Mutter, doch ich bin einfach zu entspannt. Und zu erschöpft. Unter stillem Protest trinke ich den Fruchtbarkeitstee. «Der ist so gesund, Bente! Du siehst sowieso immer so angeschlagen aus! Du hast einfach zu viel Stress im Leben! Du solltest dich mal so richtig entspannen!» – «Ich habe nicht zu viel Stress», sage ich, «und wenn doch, dann, weil ich zu viel Kaffee trinke, vor meinem Fenster drei Spuren Schnellstraße verlaufen und die Nachbarn ein Baby bekommen haben! Ich bin total entspannt! Ich bin so was von entspannt, entspannter geht’s nicht! Wenn ich mich noch mehr entspanne, dann raste ich gleich aus!» «Du musst ja nicht gleich so aggressiv werden! Das ist gar nicht gut für dein Karma, Bente! Deine Aura strahlt dann blau, und Blau ist ganz, ganz schlecht! Rosa sollte deine Aura sein. Rosa!» «Ich will nicht rosa sein», nörgele ich. «Du bist wirklich undankbar», sagt meine Mutter. «Ich mach und tu den ganzen Tag, und du hast nichts Besseres zu tun, als immer nur zu meckern! Ich fahre jetzt nach Hause und bastle in der Garage ein Hundebett!» «Jaja, Hundebett», sage ich erschöpft. «Ja, ein Hundebett», sagt meine Mutter.
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