Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
ich bin. Frage mich, ob ich so bin. Manchmal, denke ich, manchmal. In Momenten wie diesen hier bin ich nicht fröhlich, ich bin auf der Suche.
Es klopft an der Tür. Es ist Ann-Kathrin, sie fragt, ob alles okay sei. Ich sehe sie mit Tränen in den Augen an. Sie nimmt mich in den Arm. Dann geht sie und sagt, es gäbe Tee im Wohnzimmer. Ich bleibe im Zimmer und suche weiter.
Ich finde Postkarten von meiner Mutter, auf denen steht, dass sie mich liebt. Ich dich auch, denke ich, ich dich auch.
Ich erinnere mich an den Tag, als mein Vater nicht zu Hause war, meine Mutter unsere Sachen packte, der Lastwagen kam und uns mitnahm, ein paar Straßen weiterfuhr und uns in ein neues Zuhause ohne Brötchen und ohne meinen Vater entließ.
Ich erinnere mich an den Englischtest, vor dem ich saß und meine Tränen irgendwann nicht mehr zurückhalten konnte.
Ich erinnere mich an Tränen, die ich nicht zurückhalten
wollte
, weil alles sinn- und haltlos erschien.
Der Hund ist schon lange tot, mein Vater auch, zumindest in Gedanken, und im Gedenken an beide stelle ich mich nachts manchmal auf das Dach unseres WG -Hauses in der großen Stadt, gucke auf die S 3 , die rasend schnell vorbeifährt. Sehe Gesichter von Menschen, die ich nicht kenne, und frage mich, ob sie mich bemerken, wie ich hier auf dem Dach stehe. Ich denke nicht, dass sie mich sehen, fühle mich wie eine stille Betrachterin und vermisse den Sternenhimmel auf dem Land. Früher, da habe ich fast alles gedurft, ich hab viel zu viel getrunken, ich hab’s ja auch immer irgendwie so gewollt. Jetzt wünsche ich mir manchmal mehr Abgrund, nur einen Grund mehr, mein Leben zu rechtfertigen. Weil ich so wenig schaffe. Von dem, was ich will, von dem, was erwartet wird. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich jemanden das letzte Mal erwartungsvoll angesehen habe. Ich erwarte vielleicht zu wenig. Denn es sind doch die Erwartungen, die alles so schwermachen. Die
mir
alles so schwermachen. Ich denke, dass von mir erwartet wird, gut auszusehen, höflich zu sein, erfolgreiche Sachen zu tätigen, genügsam zu sein, aber auch mal über die Stränge zu schlagen (im Rahmen, versteht sich), nicht danebenzuliegen und mit der Zeit zu gehen, aber immer noch individuell zu wirken, mein Ding durchzuziehen, aber andere dabei nicht zu vernachlässigen, nicht zu laut zu sein, aber herzlich. Es ist schwer für mich, diese Erwartungen
nicht
zu erfüllen, sondern meinen eigenen gerecht zu werden. Das zu schaffen, was ich
für mich
schaffen will. Und vorher erst einmal zu wissen, wer ich bin und wer ich sein will.
Mit den Ansprüchen an diese Stadt, an Hamburg, ist es manchmal ähnlich. Der anfängliche Glanz ist einer temporären Tristesse gewichen. Ich frage mich, ob dieses Wohnknäuel andere auch so oft ankotzt, mit seinem Regen und den Menschen und mit ihnen selbst. Und dann sitzt in der U-Bahn jemand neben mir, der Eukalyptusbonbons lutscht, und ich denke an meinen Opa und an meine Oma, die nun schon seit Jahren in ihrem Bett liegt und nicht mehr spricht und gefüttert werden muss.
Ich frage mich nach mir selbst, und in meinem Kopf fahren die Gedanken Auto-Scooter, prallen voneinander ab, stoßen sich weg und verschwinden. Dann sind sie wieder da, und vielleicht kann ich mich nicht an alles erinnern. Vielleicht muss ich das auch nicht.
Ich stelle die Kisten zurück ins Regal, wische mir die Tränen vom Gesicht, ziehe die Nase hoch und gehe ins Wohnzimmer. Ann-Kathrin sitzt dort, und wir trinken Tee. Hieran werde ich mich auch erinnern, denke ich und weiß, dass ich mich nur an das erinnern werde, was ich will, und nicht an das, was von mir erwartet wird.
Der Sommer eine Ewigkeit
Und dann erzählt mir mein Opa eine Geschichte. Meine Oma liegt daneben im Bett, und ihre Blicke irren im Raum umher. Ich erinnere mich an die Momente, als ich klein war und der Sommer eine Ewigkeit, an das Lächeln meiner Oma und an die Geschichten meines Opas.
Damals, da war die Welt ein begrenztes Stück Erde. Und Liebe war etwas, das nicht weh tat.
Mein Opa ist ein kleiner, rundlicher Mann mit faltigen Augen, aus denen immer noch viel Neugier blickt. Neugier für die Welten, die er in seinen Büchern entdeckt. Reisen kann er nicht mehr, und wenn er erzählt, dann redet er manchmal von Fernweh und davon, dass er gerne mehr von der Welt gesehen hätte. Aber damals, da kam der Krieg, und dann kamen das Aufbauen und das Verdrängen. Mein Opa träumt sich seitdem weit weg und wünscht sich in die Geschichten aus
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