Unsere Claudia
drei war sie in der Paßkontrolle fertig, aber nun mußte sie auf ihren Koffer warten, bis der ganze Karren mit dem Gepäck vom Flugzeug herüberkam. Dort, endlich… Claudia erkannte ihren eigenen Koffer, sie trippelte vor Ungeduld. Denn dort, jenseits der Schranke stand Mutti – und Claudia durfte nicht zu ihr hinausgehen, und Mutti durfte nicht hereinkommen – sie mußten erst die Zollkontrolle abwarten!
„Das ist meiner“, sagte Claudia laut und zeigte auf ihren Koffer.
Und der Zöllner lächelte und fragte, ob sie im Ausland etwas gekauft habe.
„Ja“, sagte Claudia und zählte schleunigst alles auf.
„Einen Kragen und zwei Paar Strümpfe, und die Schuhe, die ich anhabe…“
„Tee oder Kaffee?“ fragte der Zöllner.
„Nein, nein“, konnte Claudia wahrheitsgemäß antworten. Ihr Koffer wurde mit einem Kreuz versehen, und sie stürzte durch die Öffnung in der Schranke und sank Mutti in die Arme.
Kurz darauf rollte die kleine burgunderrote Kaffeemühle durch den wirbelnden Hamburger Verkehr… weiter, weiter, hinaus auf die asphaltierte Landstraße – und Claudia plapperte und erzählte in ihrer eigenen Sprache, und sie war in ihrem eigenen Land –, und während sich der Frühlingsabend weich und milde auf die drei glücklichen Menschen herabsenkte, gelangten sie wohlbehalten nach Hause.
Ein Jahr später
Die Fahrstuhltür knallte zu, daß es hallte. *S Anita Brodersen hob den Kopf und lauschte. Sie lächelte. Denn sie kannte die schnellen, frohen Schritte und das Trippeln von Hundepfoten daneben. Und sie stand schon auf dem Vorplatz bereit, als es dreimal kurz läutete.
„Mutti! Schau! Ich habe Maiglöckchen gefunden! Und, denk dir, Terry ist auf Igeljagd gegangen, er benahm sich so urkomisch, als er sich an der Schnauze gepickt hatte -Mutti, ist Onkel Peter schon da?“
Strubbelig, rotbackig und atemlos stand Claudia auf dem Vorplatz und schlüpfte aus der Jacke. Der kleine rote irische Terrier war außer Rand und Band vor Freude.
„So, Terry, ruhig jetzt – nein, du darfst doch mit diesen Pfoten nicht ins Zimmer –, wart mal, du kleines Untier, wir wischen sie dir erst sauber – “ Claudia war schon im Badezimmer und holte Terrys Lappen, und der Hund ließ es sich brav gefallen, daß die Pfoten erst saubergeputzt wurden. „So – jetzt kannst du ‘reingehen –, Mutti, ich bin hungrig wie ein Wolf, kriegen wir heute was Gutes?“
„Rinderbrust mit Meerrettichsoße!“
„Huuh, fein! Wenn nur Onkel Peter bald hier wäre. Ist Schwesterchen wach?“
Ehe Mutti noch etwas antworten konnte, ließ sich ein kleines Stimmchen aus dem Schlafzimmer vernehmen.
„Hörst du? Sie antwortet. Darf ich sie wickeln, Mutti?“
„Das darfst du gern. Ich muß sowieso den Tisch decken. Ihr Breichen steht fertig im Wasserbad.“
„Großartig!“ Im Schlafzimmer war der Vorhang wegen der scharfen Maisonne heruntergezogen. Claudia schob ihn so weit hoch, daß sie sehen konnte. In dem kleinen Gitterbettchen bewegte sich etwas. Zwei winzig kleine Händchen fuchtelten in der Luft, zwei kleine Beinchen zappelten unter einem leichten weißen Deckbett.
Claudia hob das Kleine hoch, so vorsichtig und doch sicher wie eine Große.
„Na, du kleiner Hampelmann!“
Mit raschen, gewandten Händen legte Claudia die kleine Schwester auf den Wickeltisch, nahm ihr die Windel ab, wusch sie, puderte sie und zog ihr frische Wäsche an – kleine Tücher, die an dem elektrischen Heizofen angewärmt worden waren. Währenddessen plauderte sie immerfort mit ihr.
„Grr, grr“, machte das Schwesterchen.
„Ja, das ist deine Antwort auf alles“, lachte Claudia. „Könntest du nicht mal was anderes sagen?“
„Bla, blaa“, babbelte die Kleine.
„Siehst du, das war schon besser! Meinst du damit Mama oder Papa? Oder soll es etwa Claudia heißen?“
„Daa – “, sagte Schwesterchen.
Jetzt kam Mutti ins Zimmer und brachte den Brei. Claudia setzte sich auf einen niedrigen, bequemen Stuhl, mit dem Baby auf dem Schoß.
„So, jetzt mußt du lieb sein und essen, damit du groß und stark wirst“, sagte Claudia, und die Mutter mußte lächeln, als sie sah, wie geschickt Claudia sich anstellte, um den Löffel in den kleinen Mund zu stecken und das kleine Kinn und die Nasenspitze abzuwischen.
„Du darfst aber nicht trödeln“, sagte Claudia. „Wir wollen doch fertig sein, wenn Onkel Peter kommt. Wenn Papa kommt, meine ich. Du mußt jetzt lernen, Papa zu sagen, hast du verstanden?“
Anita Brodersen
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