Unsere Claudia
aufpassen darf! Früher habe ich Dich umsorgt, hier umsorge ich Bertil – aber zu Hause habe ich nichts zum Umsorgen!
Meine Mutti, ich müßte Dir eine Menge erzählen. Eine Menge Dinge, die ich früher nicht verstanden habe. Aber das ist zu lang zum Schreiben. Ich möchte Dir nur eins sagen: Ich freue mich so, daß wir Onkel Peter haben. -Denn ich weiß es jetzt, ein Heim ist kein richtiges Heim ohne einen Familienvater. Ich habe ja gesehen, wie Onkel Bo alles regelt und erledigt, was schwierig ist. Er gibt uns Ratschläge und hilft uns, ob es nun ein Nagel ist, der eingeschlagen werden muß, oder ob ein Geburtstag gefeiert werden soll oder einem ein Preis gestohlen wird, den man gewonnen hat – Du weißt, die Geschichte mit Ulla. Onkel Bo weiß immer Rat, und hätten wir nicht Onkel Peter, würde ich mich sicher oftmals hilflos fühlen.
Meine liebe Mutti, schreib bald, schreib schnell, schreib sofort – denn ich habe solches Heimweh, daß ich das Gefühl habe, ich kann es gar nicht mehr aushalten – am liebsten würde ich mir Flügel anschnallen und geradewegs zu Euch nach Hause fliegen!
Es ist jetzt ein Uhr nachts. Ich stelle den Wecker auf sechs. Und dann schleiche ich mich aus dem Haus und nehme die Straßenbahn zur Zentralstation und werfe den Brief da ein, dann geht er mit dem ersten Zug mit.
Tausend innige Grüße an Dich und Onkel Peter, Dir eine große Umärmelung, meine liebe, liebe Mutti, von Deiner sehnsüchtigen Claudia
Es klingelte an der Tür, und Claudia öffnete. „Eingeschriebener Eilbrief an Fräulein Claudia Keller“, sagte der Postbote, der draußen stand.
„Das bin ich“, sagte Claudia und quittierte mit zitternder Hand. Ein langer, dicker Umschlag wurde ihr ausgehändigt, mit rotem Expreßzettel in der einen Ecke und blauer Luftpostmarke in der andern, und außerdem mit dem rot-weißen Einschreibstreifen.
Sie riß den Brief auf. Zwei engbeschriebene Blätter – eins mit Muttis Schrift, eins mit Onkel Peters. Und dann ein langes, schmales Heft mit drei blauen Buchstaben: S.A.S.
Was, um Himmels willen, war denn das?
Sie blätterte in dem Heft. Da stand etwas auf Englisch geschrieben, und was gedruckt war, das war auch englisch. Ganz unten stand ihr eigener Name:
Miss Claudia Keller.
Und was stand da noch… Complete route this ticket… valid until… und da, mit Durchschlag geschrieben: ,
From Stockholm To Copenhagen To Hamburg…
Da ging Claudia ein Licht auf. Es war eine Flugkarte! Sie durfte nach Hause fliegen!!
Das Herz schlug ihr so sehr, daß sie meinte, es hören zu können, und sie las Onkel Peters Brief zuerst:
Liebe Claudia, Du bist mir schon ein Mädchen! Nun laß uns nicht länger warten! Wir vermissen Dich grenzenlos, und wir können unter keinen Umständen mehr warten, bis der trödelige Zug mühsam viele Schienenkilometer hinter sich gebracht hat. Erhebe Dich in die Lüfte, Claudia, hier ist die Flugkarte! Du wendest Dich an das S.A.S.-Büro in Stockholm, Adresse ist Flygpaviljongen, Nybroplan, und gibst Bescheid, wann Du fliegen möchtest, dann wird das Datum in die Karte eingetragen, und Dir wird die genaue Abfahrtszeit angegeben. Dann telegrafierst Du sofort an uns. Es geht ein Flugzeug täglich um 13.50 von Stockholm ab, außer sonntags. Du bist in Kopenhagen um 15.30, dort hast du eine halbe Stunde Aufenthalt. Um 16 Uhr geht ein Flugzeug weiter nach Hamburg, und dort rollst Du um 17.10 auf dem Flugplatz ein… dort wird Mutti Dich erwarten. Und wenn Du ganz vernünftig bist, dann fährst Du Samstag, dann kann ich auch da sein, mit der Kaffeemühle, und dann fahren wir im Wagen nach Hause – kommst Du an einem andern Tag, so müßt ihr den Zug nehmen.
Recht gute Reise, Du kannst Dich auf den Flug freuen, es ist die schönste Form des Reisens überhaupt.
Willkommen daheim!
Dein Onkel Peter
Dann nahm Claudia Muttis Brief vor.
Meine allerliebste Claudia!
Eine solche Freude habe ich nicht gehabt, so weit ich zurückdenken kann. Ich zähle die Tage und Stunden, bis ich mein kleines Mädchen wieder bei mir habe.
Und dann muß ich Dir etwas erzählen, Claudia. Etwas, von dem ich weiß, daß es Dich freut. Ich war mir nicht so ganz sicher, wie Du es aufnehmen würdest, aber nach Deinem Brief jetzt weiß ich es.
Liebe kleine Claudia, Du bekommst etwas, das Du hegen und pflegen und umsorgen kannst. Nicht nur ein Kätzchen – das sollst Du auch haben, wenn Du nicht lieber einen Hund haben möchtest – aber etwas anderes – etwas viel,
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