Unsichtbare Kräfte
dessen Arzt ließ jedoch ein persönliches Zusammentreffen unmöglich erscheinen.
Ganz Venezuela stand unter dem Eindruck des großen Sieges bei Valencia. Hier war in tagelangem, erbittertem Ringen der Durchbruch durch die brasilianische Front gelungen. Die weiteren Erfolge erhöhten noch den Freudentaumel. Der Einzug der venezolanischen Truppen in Porto Cabello - kein Feind mehr im Norden des Landes. Auch in der venezolanischen Armee waren schwere Verluste zu beklagen. Die Lazarette überfüllt - Freund und Feind durcheinander. Das verhältnismäßig kleine ärztliche Personal arbeitete bis zum Umsinken.
Auch in San Fernando waren Massen von Verwundeten in behelfsmäßigen Lazaretten untergebracht. Gleich nach der Schlacht war auch Edna Wildrake nach San Fernando geeilt, um als Pflegerin zu helfen. Und in Anbetracht ihrer Übung in der praktischen Krankenfürsorge nahm man ihre Dienste weit über ihre Kräfte in Anspruch.
Übermüdet von langen Nachtwachen, hatte sie sich eines Tages eben zu kurzem Schlummer niedergelegt, da hörte sie draußen auf dem Flur lautes Weinen und Flehen einer Frauenstimme. Wie einem Zwange folgend, stand Edna auf und schritt hinaus.
Eine ältere Frau, Angehörige der besseren Stände, wie es schien, sprach mit dem Lazarettverwalter. Es war zu erkennen, daß sie eine Bitte vorgebracht, die er ihr mit rauhen Worten immer wieder abschlug.
Edna trat näher an die beiden heran. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie.
Beim Klang von Ednas Stimme hatte die Frau aufgehorcht, trat schnell zu ihr. Die Hände flehend erhoben, überschüttete sie das junge Mädchen mit einer Flut von Bitten, Klagen, wirrem Stammeln.
Edna sah den Verwalter fragend an.
»Sie will zu einem Brasilianer, der verwundet hier eingeliefert wurde. Er ist jedoch als Spion erkannt, den man vor einiger Zeit auf frischer Tat verhaftet und der dann kurz vor der Hinrichtung plötzlich entfloh.«
Die alte Frau brach von neuem in Schluchzen aus. »Nein - er ist unschuldig! Niemals hat er daran gedacht, Spionage zu treiben! Ich selbst bin schuld an allem! Oswald wollte zu mir kommen, mich besuchen. Der Waffenstillstand war ja längst geschlossen ...«
Bei dem Worte »Oswald« war Edna zusammengezuckt. Der Name, hier in Nordvenezuela bei ihren Landsleuten kaum bekannt, ließ sie aufmerken.
Hastig trat sie an die Frau heran. »Oswald nannten Sie Ihren Sohn? Wie heißt er weiter? Wie heißen Sie?«
»Winterloo«, kam es von den zitternden Lippen der alten Dame.
»Winterloo!« Wie ein Schrei kam das Wort aus Ednas Mund. »Oswald Winterloo? Er ist hier? Verwundet, gefangen?« Sie rüttelte den Lazarettverwalter am Arm. »Wo ist dieser Offizier? Schnell! Führen Sie mich zu ihm!«
Der Beamte zuckte die Schultern. Edna stampfte wütend auf. »Wissen Sie nicht, wer ich bin?« sagte sie in hochfahrendem Ton. »Ich heiße Edna Wildrake. Als einem Venezolaner sollte Ihnen der Name nicht unbekannt sein!«
Der Verwalter trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Es ist unmöglich, Señorita! Strengster Befehl, niemand zu dem Inhaftierten zu lassen. Schon einmal ist er uns entwischt!«
Sporengeklirr vom Ende des Ganges. Oberst Ceralbo, Kommandant von San Fernando, kam in Begleitung seines Adjutanten daher. Als er die ihm wohlbekannte Schwester Robert Wildrakes erblickte, beugte er sich in ritterlicher Ehrerbietung über ihre Hand.
In hastigen Worten erzählte sie ihm, was hier vorging. Bei dem Namen »Winterloo« verdüsterten sich seine Mienen.
»Sie verschwenden Ihre Güte an einen Unwürdigen, Señorita! Ich bin leider genötigt, Ihnen diese Bitte abzuschlagen.«
Fassungslos taumelte Edna zurück. »Einen Unschuldigen wollen Sie morden?« schrie sie, unfähig, sich zu beherrschen.
Der Adjutant versuchte sie zu beruhigen. Doch sie wies ihn unwillig ab. »So gewähren Sie wenigstens Aufschub, Herr Oberst, bis ich mich an den Diktator Guerrero persönlich gewendet habe.«
»Gern Dona Edna! Das kann ich ohne weiteres verantworten. Es wird also dem Hauptmann Winterloo nichts geschehen, bevor Guerrero selber entschieden hat!«
Edna ergriff die Hand des Obersten mit festem Druck. Eilte dann zu Oswalds Mutter, die ihr, vor Glück und Freude weinend, um den Hals fiel!
Edna zitterten die Knie. Unschuldig verurteilt, der Geliebte!
Konnte, durfte sie ihn in den Tod gehen lassen? Niemals!
Langsam wurde sie ihrer Schwäche Herr. »Wir wollen zu ihm! Wer sollte es wagen, Robert Wildrakes Schwester zu verwehren, eine Mutter zu ihrem
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