Unsichtbare Kräfte
unscheinbaren Mann, der in der Halle des Hauses vor ihm stand.
»José, wenn Ihnen das Wohl Ihres Herrn am Herzen liegt, so lassen Sie mich zu ihm!«
Der Diener schüttelte bekümmert den Kopf. »Unmöglich, mein Herr!«
Der Alte zögerte, nahm dann einen Ring aus der Tasche, gab ihn dem Diener. »Bringen Sie diesen Ring zu Ihrem Herrn! Der Überbringer warte seiner Bitte, ihn zu sehen.«
Erstaunt trat der Diener einen Schritt zurück. Die Worte des Alten - wie sonderbar klangen sie! Sein Herr sollte bitten, daß dieser unscheinbare, kümmerliche Besucher zu ihm käme?
Wie unter einem Zwang nahm er den Ring, schritt nach oben.
»Er soll zu mir kommen! Sofort!« gellte die Stimme Hogans. »Wo ist der Mann, der den Ring brachte? Warum kommt er nicht?«
Der Kranke war aus kurzem Schlummer erwacht. Der Ring, an den er eben noch gedacht, lag nun plötzlich in seiner Hand! Er sah das Roßmore-Wappen wieder vor seinen Augen!
Verschwunden alle Schwäche. Unfähig, seine Geduld zu meistern, schrie er immer wieder: »Er soll zu mir kommen!«
José rannte die Treppe nach unten.
»Kommen Sie, mein Herr! Rasch - rasch, sonst stirbt Señor Hogan! ... Was ist’s? Was bedeutet der Ring? - Kommen Sie schnell!«
Er lief dem Besucher voraus. Hogan hatte sich in den Kissen aufgerichtet, bückte zur Tür.
»Der Herr, der den Ring brachte - hier ist er, Señor Hogan!«
José deutete auf den alten Mann, der jetzt langsam ins Zimmer trat und sich an Hogans Bett niedersetzte.
Der Diener ging hinaus, schloß die Tür ... Blieb stehen - bereit, sie jeden Augenblick wieder aufzureißen, um seinem Herrn zu Hilfe zu kommen.
Doch aus dem Zimmer drang nur die Stimme des seltsamen Gastes, der in ruhigem gemessenem Tone sprach und immer weitersprach ...
Jetzt endlich auch Hogans Stimme. Doch wie ganz anders klang sie! Klang, wie José sie noch nie gehört zu haben glaubte. Klang so weich, so glücklich - wie von erlösendem Weinen unterbrochen.
Ja! William Hogan weinte.
Leise klinkte José die Tür auf, sah in frohem Staunen auf die beiden. Der Herr bedurfte seiner nicht! Unhörbar, wie er eingetreten, glitt er wieder zurück.
Hörte noch, während die Tür sich schloß, den Ausspruch des Alten: »Nicht mehr lange, dann wirst du Vivians Sohn in deine Arme schließen!«
La Venta lag im Schein der Morgensonne. Unter einem schattigen Baum des Gartens ruhte Droste in einem Liegestuhl. Maria breitete zum Schutze gegen die Morgenkühle sorgsam eine Decke um den Freund.
Ein paar sorgenvolle Tage lagen hinter ihnen. Droste war, kaum von Wildrakes Armen aus dem Flugzeug in das Haus gebracht, in eine Nervenkrise verfallen. Zu groß der plötzliche Umschwung seines Geschickes, als daß nicht auch seine starke Natur schwer erschüttert worden wäre. Die liebevolle Pflege Marias und Wildrakes ließ ihn den Anfall glücklich überstehen. Seit gestern hatte sich sein Befinden so gebessert, daß er heute zum erstenmal ins Freie gebracht werden konnte.
»Versuche jetzt ein Stündchen zu schlafen, Medardus! Dann werden wir wiederkommen, dich erfrischt und wohl finden!« sagte Wildrake.
Mit freundlichem Winken ließen sie Droste allein. Der schloß die Augen, versuchte zu schlafen ...
Unmöglich! Die Stürme, die in den letzten Tagen über ihn hinweggebraust, waren noch nicht verebbt. Immer wieder hafteten seine Gedanken an den Worten, die in der Zelle an sein Ohr gedrungen.
»Der Narr, der morgen stirbt, William Hogan, ist dein Sohn!«
... William Hogan sein Vater? Seine Erinnerungen gingen zurück nach Winterloo. Er wußte, daß der Name »Droste« ihm von seinen Pflegeeltern gegeben worden. Wie er wirklich hieß, ahnte ja niemand. Als Kind war er, einziger Überlebender eines untergegangenen Schiffes, in einem unbemannten Boot von den Wogen ans Land geworfen worden. Das einzige Zeichen, das eine Erkennung möglich machte, blieb ein Wappenring, den ihm, als er erwachsen war, Vater Arvelin als sein Eigentum gab. Wo war der geblieben? Hatte man ihm bei seiner Einlieferung ins Gefängnis den Ring weggenommen? Seine Augen starrten sinnend über die grüne Rasenfläche.
Da kam ein Mann auf ihn zugegangen, eine hohe, kräftige Gestalt, die Schultern wie vom Alter leicht gebeugt. Eine dunkle Erinnerung stieg in Droste auf. Dieses Gesicht, diese Augen - hatte er sie nicht schon einmal gesehen? Fragend schaute er den Fremden an, der vor ihm stehengeblieben war und ihn unverwandt betrachtete.
Unwillig wollte Droste ihn anrufen, doch er unterließ
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