Unsortiertes
des
Verfahrens hätte gleichzeitig bedeutet, dass das OLG um eine Verlängerung der
Untersuchungshaft hätte angegangen werden müssen.“
Der Vorsitzende räusperte sich, die Dame auf der Anklagebank blickte
auf. „Obwohl die Strategien einer angemessenen Verteidigung in Fällen von Mord
oder Totschlag fast deckungsgleich sind – so habe ich es jedenfalls vor
Jahrzehnten in meinem Referendariat gelernt – sieht das Gericht jedoch die
Notwendigkeit, der Verteidigung die notwendige Zeit einzuräumen, die sie
braucht, um sich an die geänderte Gesamtsituation anzupassen. Von daher ergeht
ein weiterer Beschluss: Der Prozess wird für die Dauer von drei Wochen
unterbrochen. Wir sehen uns also am 28. dieses Monats um 9:00 Uhr in alter
Frische und jugendlicher Schönheit wieder.“
Das Gericht erhob sich und auch die Zuschauer machten sich auf, den Ort
des Geschehens zu verlassen. Der etwas dickliche Staatsanwalt räusperte sich.“
Herr Kleeve? Hätten Sie vielleicht mal eine Minute für mich? Ich hätte da noch
einige Fragen.“
Ich schaute Justin an, der nickte; gemeinsam gingen wir dann zum
Vertreter der Anklage, der dabei war, seine Akten einzupacken. „Womit kann ich
Ihnen dienen?“
„Sie sprachen davon, dem Opfer eine Einliegerwohnung vermietet zu
haben. Meine Frage ist nun, sind noch Sachen von ihm vorhanden?“ Er blickte
mich fragend an. „Es sind zwar vier Jahre ins Land gegangen, aber … wenn sie
noch etwas hätten, ich wäre ihnen ziemlich dankbar.“
Ich grübelte kurz. „Was hatte Enrico da? Ein paar Bücher, CDs, Wäsche,
Deko-Sachen. Ich habe das Ganze nach einem Jahr in Kisten gepackt und bei mir
auf dem Dachboden eingelagert. Wenn Sie sie haben wollen? An mir soll es nicht
liegen! Wann wollen sie sie abholen?“
„Nein, ich würde ihn in der nächsten Woche gerne mal meinen Referendar
vorbei schicken, damit er die Sachen sichten kann. Vielleicht finden wir noch
etwas, das wir gegen den Angeklagten verwenden können.“ Er grinste mich an.
Ich lächelte zurück. „Ich habe zwar keine Termine im Ausland, aber er
sollte einen Tag vorher schon einmal kurz durchleuchten, dass ich auch Zeit
habe. Aber ich hätte jetzt mal eine Frage.“
„Die da wie lautet?“ Der Staatsanwalt entledigte sich seiner Robe.
Ich blickte ihn etwas verlegen an. „Wie kam man eigentlich auf Enricos
genaues Sterbedatum? Ich habe irgendwo mal gelesen, dass man das nach einem
Monat nur noch grob schätzen kann.“
„Das stimmt, aber der Angeklagte hat zwei ganz große Fehler gemacht,
die uns die Arbeit erheblich erleichtert haben.“ Der vollschlanke Mann lachte.
„Hätte er den Toten einfach so verbuddelt, es wäre ziemlich schwer für uns
geworden, aber er wickelte Enrico in wasserundurchlässige Teichfolie ein. Der
Leichnam war fast so frisch wie am ersten Tag, selbst sämtliche DNA-Spuren vom
Angeklagten sind erhalten geblieben.“
Ich musste wirklich grinsen. „Und der zweite Lapsus?“
„Er fuhr zu schnell!“ Ich verstand nur Bahnhof. „Am 18.06.2007 fuhr er
mit 150 Sachen durch eine Autobahnbaustelle, dabei wird er von einer Zivilstreife
erwischt. Er wird angehalten, pöbelt herum, bei der Durchsuchung des Wagens
finden die Beamten 2,6 Kilo Haschisch. Er wird verhaftet, kommt in
Untersuchungshaft und wird zu dreieinhalb Jahren verurteilt.“ Der Dicke
kicherte. „Als er dann nach drei Jahren wieder herauskam, hatte er wohl nicht
mehr an Enrico gedacht! Erst vor fünfeinhalb Monaten wurde der Leichnam bei
einer Ufersäuberung von einer Gruppe Pfadfindern gefunden. Der Rest war dann
einfache Polizeiarbeit, man musste nur noch eins und eins zusammenzählen.“
Als wir das Gerichtsgebäude verlassen hatten, blickten Justin und ich
uns intensiv an. „Wie sehen deine Pläne denn jetzt aus?“
„Gute Frage, die Nächste bitte!“ Der straßenköterblonde Brillenträger
zuckte mit den Schultern. „Ich werde wohl jetzt in meine Pensionen fahren,
packen und dann heute noch in die Heimat.“
Ich wollte ein Lächeln auf meine Lippen zaubern, aber so richtig gelang
es mir nicht. „Wenn du möchtest, spiele ich gerne Taxi. Ich habe heute sowieso
nichts mehr vor, von daher …“
„Das wäre nett, denn es ist etwas umständlich, mit dem ganzen Gepäck
erst in den Bus und dann in die U-Bahn, ich muss ja zum Hauptbahnhof.“ Das
Lächeln auf seinem Gesicht sah leicht gequält aus.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter. „Dann folge er
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