Unsterbliche Küsse
in das Schlafzimmer mit dem Blick auf den Garten.
Später – sie lagen mit verschlungenen Gliedern auf zerwühlten Laken – spürte Dixie die nahende Dämmerung. Sie kuschelte sich in seine Arme, legte die Wange an die vierhundert Jahre alte Brust, und versank in einen tiefen Schlaf. Sie fühlte sich geborgen in den Armen ihres Vampirmannes, und ihre Zukunft, eine sehr lange Zukunft, lag vor ihr wie ein großes Abenteuer.
Vier Wochen später sollte ihre ach so sichere Zukunft zerbrechen.
Nach drei Wochen Yorkshire erwachte Dixie eines Abends in Toms Haus und schlüpfte in ihre schwarzen Jeans, die sie, Christophers Neckereien zum Trotz, neuerdings so gerne trug. Okay, er stand nun einmal auf Leinenhöschen und Seidenblusen; sie war dagegen von klein auf an Bluejeans und bequeme Kleidung gewöhnt. Und jetzt, da sie nicht mehr jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen musste, kam sie sogar weitgehend ohne Strumpfhosen aus.
Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihren neuen Kurzhaarschnitt. Die Friseuse hatte recht gehabt: Die Frisur war pflegeleicht, auch ohne Spiegel. Sie musste nie wieder nachgeschnitten werden und geriet auch beim Fliegen nicht durcheinander. Nicht dass Dixie seit ihrer Besteigung von St. Paul’s wieder geflogen wäre. »Jetzt, da du weißt, wie es geht, kannst du ja, abgesehen von Notfällen, darauf verzichten«, hatte Christopher gesagt. Stattdessen begnügte sie sich damit, in seinem schwarzen Mercedes mitzufahren.
An diesem Abend jedoch hatte sie kaum ihre Jeans zugemacht, als die Tür aufging. Noch bevor sie sich umdrehen und ihm zulächeln konnte, erstarrte sie. Sie roch förmlich die Angst, die ihn wie ein Nebel umgab. »Ist was passiert?«
»Ja, wir haben ein kleines Problem.«
Sie war lange genug in England gewesen, um zu wissen, dass dahinter auch ein Bombenattentat mitten auf dem Grosvenor Square stecken könnte. »Was ist passiert?« Er war sofort bei ihr, ergriff ihre Hände und nahm sie fest in die Arme. Seine Lippen wanderten von ihren Haaren über Stirn und Augen zu ihrem Mund und küssten sie mit einer Leidenschaft, die ihr Angst machte. Angst deshalb, weil sie in seinem Bewusstsein noch nie eine derartige Panik und Verzweiflung gespürt hatte. »Was ist denn los?«
Er überging ihre Frage und schaute ihr stattdessen derart eindringlich in die Augen, dass sich seine Panik sofort auf sie übertrug. »Was auch immer geschieht, ich will, dass du bei mir bist. Das sollst du wissen. Aber wenn alles zu viel ist für dich, habe ich dafür auch Verständnis. Ich liebe dich, Dixie. Du bist mein.«
So viel zum Thema widersprüchliche Botschaften. »Wie wär’s, wenn du englisch mit mir sprichst, damit ich dich verstehe?«
»Komm mit nach unten.«
Unten warteten bereits Tom und Justin. Und Gwyltha. Was für eine Überraschung, hatte sie doch noch vor knapp fünf Tagen erklärt, sie würde den Norden nur selten verlassen. Alle schienen aufs Äußerste besorgt. Über den Tisch und den halben Boden verstreut lagen unzählige aufgeschlagene Zeitungen, und Tom und Justin sahen so mitgenommen wie zwei verkaterte Burschenschaftler an einem Sonntagmorgen aus.
Gwyltha sah auf, als Dixie eintrat; dabei waren die Augen in ihrem angespannten, uralten Gesicht hart wie dunkler Marmor.
»Du hast ihr nichts gesagt!«, zischte sie und fuhr dann fort: »Feigling! Immerhin hast du sie gemacht und bist verantwortlich für sie. Du bist doch kein leichtsinniger Jungspund mehr.«
Justin mischte sich ein. »Lass doch, Gwyltha. Er …«
»Ich werde ihr alles sagen und weiter auf sie aufpassen. Lasst sie doch erst einmal aufwachen«, unterbrach Christopher.
»Könnte mir bitte jemand sagen, was zum Teufel hier vorgeht?« Damit war das leidige Gerangel beendet. Vielleicht war es ihre Ausdrucksweise oder der Oberlehrerinnenton, jedenfalls starrten sie alle vier mit offenen Mündern an. Es gehörte durchaus was dazu, vier Vampire auf einmal in die Schranken zu weisen, jedoch bezweifelte sie, ob sich eine derartige Gelegenheit öfter bieten würde.
»Setz dich hin, und ich erzähl dir alles.«
Sie nahm den Stuhl, den Christopher ihr anbot, während er einen zweiten so nahe heranschob, dass ihre Knie sich berührten. Justin und Tom nahmen in verkrampfter Haltung gegenüber Platz. Gwyltha blieb steif und unverrückt stehen wie ein Menhir auf der Heide. Selbst die Motte draußen an der Fensterscheibe schlug wie in kalter Panik mit den Flügeln.
»Es geht um Sebastian, nicht?« So viel zumindest entnahm
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