Unsterbliche Küsse
sie den verbarrikadierten Gedanken. »Was ist los?«
Christopher fasste sie an den Händen, zitterte aber selbst so sehr, dass sie seine Hände festhalten musste, um ihn zu beruhigen. »Die Zeitungen da«, sagte er und zeigte mit dem Kopf auf das Chaos auf dem Tisch. »Wir haben den ganzen Tag damit zugebracht, sie zu lesen. Wieder und wieder.«
»Und?«
»Caughleigh wird nicht vor Gericht gestellt.«
»Was!« Das konnte sie nicht glauben – nach dem Aufwand. »Sie lassen ihn einfach frei?«
»Nein. Er gilt als verhandlungsunfähig und kommt nach Broadmoor«, sagte Christopher. »Ein Gefängnis für geistig verwirrte Kriminelle.«
Dort passte er ja bestens hin. »Er sitzt also seine Strafe dort ab?« Aber wie sollte das ohne Gerichtsverhandlung gehen?
»Möglicherweise bleibt er sein ganzes Leben lang dort.«
Recht so. So konnte er wenigsten keine Dummheiten mehr machen. »Der wäre also versorgt. Was ist nun das Problem?«
»Das Problem, Liebes, bist du … wir waren zu erfolgreich. Er hat alles gesagt.«
»Kein Wunder also, dass sie ihn für verrückt erklärt haben.« Sie hielt inne. Ahnungsvoll sah sie in die Runde. »Da steckt noch mehr dahinter«, sagte sie nach langem Schweigen. Sonst hätten sie doch Sebastians Verschwinden im Knast mit Toms Jahrgangs-Port gefeiert.
»Die Brüder von der Presse haben die Erklärungen gierig aufgenommen und unters Volk gebracht. Bringham hat es heute auf die Titelseiten aller nationalen und internationalen Zeitungen geschafft.« Ihr wären beinahe die Augäpfel herausgefallen, als sie die Schlagzeile des Daily Mirror las, den Christopher ihr hinhielt. Trotzdem vergaß sie aber nicht, ihren Mund wieder zuzumachen.
Ihr Name kam auf der Titelseite nicht vor, denn die gehörte allein Sebastian mit der Schlagzeile: »Brandmörder von Bringham brummt in Broadmoor.« Dafür hatten sie ihr schreckliches Passfoto doppelspaltengroß mit folgender Bildunterschrift abgedruckt: »Transatlantischer Vampir oder unschuldiges Opfer?« Und über einem Foto, das die Ruinen von Dial Cottage abbildete, stand in prangenden Lettern: »Villa des Grauens.«
Die fetten Überschriften und kurzen Sätze waren schnell durchgelesen. Allem Anschein nach wollte die Presse so viel Aufmerksamkeit wie möglich erregen, was ihr auch gelungen war. Sebastian wurde als der wahnsinnige Führer einer obskuren Dorfsekte geschildert. Ida, Emily und – zu Dixies Erstaunen – auch Sally sowie James und weitere Personen, die sie aber nicht kannte, wurden offenbar als Mittäter angeklagt. Der Tod ihrer Tanten, die Morde an Christopher und Vernon – beide trotz einer fehlenden Leiche bewie-
sen –, das Geraune über einen Hexenzirkel und die undurchsichtige Rolle einer Amerikanerin in diesem Zusammenhang waren ein gefundenes Fressen für die Presse. Selbst die Times sprach von »Ritualmorden vor den Toren Londons«.
Und sie hatte sich Sorgen darüber gemacht, Christopher könnte mit Vernons Tod etwas zu tun haben! Was würde aber nun passieren, wenn irgendwelche Reporter sie erkennen und Aufnahmen von ihr machen würden, auf denen sie nicht zu sehen war? Das konnte sie nicht riskieren – und wie sollte sie sich jetzt überhaupt noch vor die Tür wagen?
»Ich weiß nicht, ob ›erfolgreich‹ das richtige Wort ist«, sagte sie. Ihre Stimme schwankte. »Was machen wir denn nun?« Die pure Verzweiflung saß ihr im Nacken, als sie Christophers Hände umklammerte und nach dem Halt suchte, den sie ihm eben noch gegeben hatte.
»Es wird alles gut, Dixie. Glaub’s mir. Wir werden zusammenbleiben.«
Etwas anderes konnte sie sich gar nicht vorstellen. Er hatte sie wieder zum Leben erweckt.
»So einen Fall haben wir nicht zum ersten Mal«, sagte Justin. »Mach dir keine Sorgen, meine Beste. 1820 hatte Tom ein ähnliches Problem. Es trifft uns alle immer wieder mal. Wir stehen plötzlich im Rampenlicht, wenn die Sterblichen Verdacht schöpfen und ihre Fantasie mit ihnen durchgeht. Christopher hatte eine lange Ruhephase geplant, als sie ihn des Mordes an Vernon bezichtigten. Wir tauchen einfach unter, bis sie uns vergessen.«
»Und was heißt das genau?« Ihr war, als ahnte sie es bereits.
»Justin meint, du solltest dich für längere Zeit zur Ruhe begeben, mehrere Jahre, zumindest so lange, bis über die Sache Gras gewachsen ist. Ich ruhe neben dir, damit du nicht alleine aufwachst.« Christophers kräftige Hände pressten sich auf ihre, als wollte er die in ihr aufsteigende Panik besänftigen.
Es half aber
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