Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
auch erreichen. Nicht heute und voraussichtlich auch nicht morgen, ein wenig Geduld wirst du wohl haben müssen.« Er sah sie von der Seite an. »Das war’s immer noch nicht, stimmt’s?«
Sie wich seinem Blick aus und setzte sich auf ihre Hände. So konnte sie sie wärmen und gleichzeitig ihre Nervosität verbergen. »Ich schlafe schlecht«, sagte sie leise.
Sein Grinsen verschwand und er rückte seinen Stuhl nahe an sie heran. »Das wundert mich nicht. Wer schläft schon gut in diesen Zeiten?«
»Das ist es nicht, Peter. Ein Traum … Ich träume jede Nacht dasselbe. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Traum erstens wichtig ist, und ich zweitens immer zu früh aufwache. Irgendetwas verpasse ich, wenn ich nur wüsste, was.« Unsicher sah sie in Peters dunkelbraune Augen. Er hörte ihr aufmerksam zu, nahm sie ernst. Gott sei Dank!
»Magst du mir erzählen, wovon du träumst?«
Sie nickte langsam. »Da ist dieser riesige Vogel. Er brennt und kreist über der Stadt. Jede Nacht.« Ihr Hals schmerzte, so sehr bemühte sie sich, den verdammten Kloß hinunterzuwürgen. Sie sah auf. Jetzt würde er gleich grinsen. Keiner konnte das verstehen, doch Peter überraschte sie erneut. Nachdenklich blickte er sie an.
»Geh hamstern, mein Kind, lass dir den Wind um die Nase wehen. Ich schau später noch mal nach dir.« Er stand auf und ging, ohne viele Worte. Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Mehr hatte er nicht dazu zu sagen? Geh hamstern … Verwirrt starrte sie auf die geschlossene Tür und fuhr zusammen, als es plötzlich unter ihrem Fenster klopfte.
Peters wirres Haar tauchte vor ihr auf. »Sei vorsichtig, Anna.«
Sie verdrehte die Augen. »Keine Sorge. Ich gehe schon nicht verloren.«
Peter bedachte sie mit einem Kopfschütteln, hob beide Hände zu einer beschwichtigenden Geste und wandte sich um. Doch plötzlich sah er noch mal zurück. »Wie Phönix aus der Asche, Anna!«
Kapitel 2
Intermezzo
G oldgelbe Sonnenstrahlen funkelten durch das Fenster und blendeten sie. Anna packte rasch vier silberne Löffel, Messer und Gabeln in den verschlissenen Stoffrucksack, tauschte den Wollpullover gegen ein ausgeblichenes, rotes Leinenhemd und krempelte die Ärmel hoch. Fluchtartig verließ sie den Spielzeugladen und lief mit ausladenden Schritten die Straße entlang. An die Ruinen hatte sie sich längst gewöhnt, die Schuttberge verschwanden nach und nach und hier und da baute man zerstörte Häuser wieder auf. Trotzdem hatte sie es immer eilig, die Trümmerwüste hinter sich zu lassen. Außerhalb ihres heimeligen Refugiums empfand sie seit Jahren alles traurig und ungemütlich. Grau. Nach diesem frostklirrenden Winter fehlten ihr grüne Wiesen und bunte Blumen. Sogar der Himmel hatte sich monatelang mit der bedrückenden, tristen Farblosigkeit verbündet. Umso mehr freute sie sich heute über sein sattes Blau. Endlich, keine einzige Wolke trübte das perfekte Zusammenspiel von tiefblauer Unendlichkeit und strahlendem Sonnenschein.
Wie Phönix aus der Asche . Peters Worte ließen sie nicht los. Deutlich sah sie den gewaltigen, rot glühenden Vogel vor sich. Kraftvoll und wunderschön, aber offensichtlich auch zerstörerisch und Unheil bringend. Sie würde Peter heute Abend fragen, was genau er damit gemeint hatte.
Nach einer halben Stunde erreichte sie das kleine Wäldchen. Anna atmete tief den Duft der Bäume und der Erde ein. Gott sei Dank, die Stadt lag hinter ihr. Sie schloss die Augen, spürte die Sonne auf ihrer Haut und lächelte. Winzige braungrüne Knospen zierten die Spitzen der dürren Äste. Frühling. Endlich. Annas hätte vor Freude hüpfen können, als sie den schmalen, belaubten Pfad betrat, der mitten durch den Wald führte und die Stadt mit der Landstraße verband. Gestern hatte es geregnet, doch jetzt schob die Sonne ihre Strahlen mühelos zwischen den Ästen hindurch und spielte mit einem faszinierenden Muster aus Licht und Schatten. Anna sog gierig den herb-würzigen Dampf des feuchten Humusbodens ein. Der Tag schien das Versprechen zu halten, das die Morgendämmerung hatte erahnen lassen und Anna genoss es, sich von Sonnenstrahlen und warmem Wind liebkosen zu lassen. Am liebsten wäre sie hiergeblieben, hätte aufs Hamstern verzichtet und sich ganz der sinnlichen Ruhe der Natur hingegeben. Aber ihr Magen war eindeutig anderer Meinung und knurrte vorwurfsvoll.
Hatte sie die alte Landstraße erst einmal erreicht, war es aus mit dem Frieden. Sie war zwar früh losgezogen,
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