Unter dem Wolfsmond – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
glaubte an eine Halluzination. Chief Maven stand in der Tür.
»Wie, keine Blumen?« sagte ich.
»Ich mußte nur vorbeikommen und das mit eigenen Augen sehen«, sagte er. »Man hat Sie mitten im Luce County im Schnee liegend gefunden, ohne Mantel, und Sie haben sich nichts abgefroren?«
»Alle Teile sind noch dran«, sagte ich. »In der Originalausstattung.«
»Wie geht noch mal die Redensart? Narren und Idioten haben einen besonderen Schutzengel?«
»Ich glaube, es sind Betrunkene und Narren.«
»Wie dem auch sei – wenn Sie nicht der lebende Beweis sind!«
Als er so nah herangekommen war, daß er mich von oben betrachten konnte, steckte er die Handschuhe in die Taschen und verschränkte die Arme. Er sah erschöpft aus.
»Weshalb sind Sie hier?« fragte ich. »Jetzt mal im Ernst.«
»Ich bin hierhergekommen, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen«, sagte er.
»Stellen Sie.«
»Diese Hütte am Mackinac Trail. Ich habe die Aussage gelesen, die Sie Brandow gegenüber gemacht haben. Aber ich muß Sie das selbst fragen. Sind Sie wirklich mit Ihrem Schneepflug in das Ding hineingebrettert?«
»Ja«, sagte ich. »Ohne jede Absicht.«
»Sie wollten an sich die Einfahrt freischaufeln, und das ist schiefgelaufen?«
»Nächste Frage«, sagte ich.
»Sie haben gesehen, was man mit diesen Leuten gemacht hatte«, fuhr er fort. »Nachdem Sie zufällig die ganze Wand des Hauses mit Ihrem Schneepflug eingerissen hatten.«
»Ja«, sagte ich.
»Und diese Männer in der Eishütte«, sagte er. »Die Toten, die man da in ihrer Unterwäsche gefunden hat. Pearl und Roman? Hießen sie so? Das sind die, die die Leute in der Hütte umgebracht hatten?«
»Ja.«
»Sind Sie da sicher?«
»Ja.«
»Und der andere Mann?« fragte er. »Molinov? Sie haben gesehen, wie er Pearl und Roman umgebracht hat?«
»Ja«, sagte ich.
Er nickte mit dem Kopf. »Okay, letzte Frage. Ging es schnell, oder ging es langsam?«
»Was fragen Sie mich das?«
»Sie haben gesehen, was die beiden gemacht haben«, sagte er. »Als sie starben, ging das schnell oder langsam?«
Ich sah ihn lange an. »Es ging schnell«, sagte ich schließlich. »Sie haben es nicht mal mitgekriegt.«
Er nickte wieder mit dem Kopf. »Okay«, sagte er. »Okay.« Er nahm die Handschuhe aus den Taschen und zog sie an.
»Das ist alles«, sagte er. Und dann ging er.
Ich saß da und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Der Doktor kam einige Minuten später und vertrieb die eigentümliche Stimmung.
»Ich würde Sie gerne noch ein paar Tage hierbehalten«, sagte er. »Sichergehen, daß Ihr Magen wieder Nahrung verträgt. Zum Teufel, am liebsten würde ich Sie diesmal noch einen Monat dalassen, damit ich weiß, daß Sie nicht wieder irgendeinen Quatsch machen, sobald Sie draußen sind.«
»Mir geht es gut«, sagte ich.
»Und kalt ist Ihnen auch nicht mehr?«
»Nein«, sagte ich. Was eine Lüge war. Aber ich konnte das Krankenhaus nicht länger ertragen und die endlose Parade der Besucher. Jeder, den ich kannte, hatte mich besucht.
Mit einer Ausnahme.
Ich verließ das Hospital am nächsten Morgen um acht Uhr. Ich trug den neuen Mantel, den Leon mir gebracht hatte. Mein alter Mantel war ja unter dem Eis und hüllte dort vermutlich immer noch Bruckmans Leiche ein. Aber das war in meinen Augen schon in Ordnung. Er hatte mir schließlich schon zwölf gute Jahre treue Dienste geleistet.
Mein Lastwagen stand auf dem Parkplatz, wie Leon es mir versprochen hatte. Ich hatte ihm gesagt, daß er mich nicht abholen solle. Ich wollte an diesem Morgen einfach niemanden sehen. Ich wollte nur einige Stunden für mich allein haben, um etwas Wichtiges zu erledigen. Er hatte das ohne jede Erklärung akzeptiert. Das Merkmal eines guten Partners.
Ich fuhr an diesem Morgen nach Westen. Es war kalt, wie fast an allen Tagen. Aber ich dachte nicht ans Wetter. Als ich den Abzweig nach Brimley erreichte, fuhr ich nach Norden ins Reservat. Ich stellte den Lastwagen auf dem Parkplatz des Kasinos ab und ging nach drinnen.
Ich hatte ihn schnell gefunden. Er arbeitete am Siebzehnundvier-Tisch zu fünf Dollar. Dort waren drei Spieler, zwei Frauen und ein Mann. Ich setzte mich dazu.
»Alex«, begrüßte er mich, ohne aufzusehen. Als er mit Mischen fertig war, gab er den Stapel an eine der Frauen und ließ sie abheben.
»Vinnie«, begrüßte ich ihn. Er begann auszuteilen. »Spielen Sie mit?« fragte er. Er sah nur auf die Karten, während er gab. Er hatte sich selbst einen Buben gegeben, deshalb
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