Unter dem Wolfsmond – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
darfst dich nicht verlaufen. Du darfst dich verdammt noch mal nicht verlaufen, sonst ist alles vorbei. Ist es hier? Nein. Doch, da ist es.
Ich fand die Vertiefung im Schnee, wo der Jeep gestanden hatte. Im Sommer war hier wohl eine Bootslände, dachte ich mir. Nun, wie lange hatten wir bis hier gebraucht, nachdem wir von der Hauptstraße abgebogen waren?
Ich ging geradewegs die Stichstraße hinunter. Im schwachen Licht war sie nicht mehr als eine enge Schneise zwischen den Bäumen. Meine Füße waren taub. Meine Hände schmerzten. Ich wußte nicht, was schlimmer war.
Ich verlor den Halt und fiel in den Schnee. Als ich wieder aufgestanden war, zog ich die Hose enger um meinen Hals und ging weiter. Was hatte im Artikel zur nächsten Phase der Unterkühlung gestanden? Das war das mit dem ›irren‹. Man verirrt sich, wird verwirrt, nein, man ist verwirrt und schon verirrt. Bin ich das schon? Ich ging weiter, und in meinem Kopf reimte es. Wer verwirrt, ist schon verirrt, wer sich verirrt, ist bald verwirrt, verwirrt in irren Wirren. Wenigstens ist der Schnee hier nicht so tief. Und der Wind nicht ganz so eisig. Eigentlich ganz angenehm, oder? Ich glaube, mir wird hier richtig warm. Eigentlich ein hübscher Ferienort.
Wieder fiel ich in den Schnee. Ich setzte mich auf und hielt dann inne. Steh auf, verdammt noch mal. Auf die Füße! Wenn du anhältst, bist du tot.
Ich stand auf. Ich ging weiter.
Bloß weitergehen. Immer geradeaus. Hier lang geht’s zur Straße. Und du mußt zur Straße.
Irre, klirre, kirre. Was ist Irrland? Das ist der Name eines Landes. Aber es schreibt sich Irland. Wie Schottland, wo Jackie her ist.
Geh weiter. Du mußt zur Straße.
Dinge, die ich tun werde, wenn ich nach Hause komme. Ein heißes Bad nehmen. Am Kamin sitzen. Heißen Kaffee trinken.
Wieder fiel ich hin.
Steh auf. Steh auf oder stirb.
Ich stand auf, das Gesicht voll Schnee.
Nach Florida ziehen. Am Strand liegen. Braun werden.
Ich ging weiter. Einen Fuß und dann den andern, durch den Schnee, geradeaus zwischen den Bäumen.
Wie lang sind wir auf der Stichstraße gefahren? Ich kann mich nicht erinnern. Wie lange gehe ich jetzt schon? Ich kann mich nicht erinnern, losgegangen zu sein. Mein ganzes Leben stapfe ich schon durch den Schnee.
Mein Gott, wie mir die Hände weh tun. Mein Gott, wie mir das Gesicht weh tut. Meine Füße sind nicht länger taub. Meine Füße schmerzen jetzt auch. So muß sich Bruckman gefühlt haben. Zusammengekauert in dem Schuppen. Beim Warten auf den Tod. Ob er wohl das Wasser gespürt hat, als man ihn hineinwarf?
Verirrt, verkirrt. Ist das ein Wort? Verwirrt.
Endlich erreichte ich die Hauptstraße. Auf ihr lagen nur einige Zentimeter Schnee. Sie war noch kürzlich gepflügt worden.
Das wäre es dann, Alex. Das wäre die Hauptstraße. Aber wo ist das Rettungsteam? Wo ist das Empfangskomitee? Wo ist der Mann mit dem großen Siegespokal, und wo ist die Schönheitskönigin, die mich auf den Mund küssen will? Tut mir leid, Madam, aber meine Lippen sind gefroren.
Wohin? Links oder rechts? Aus welcher Richtung sind wir gekommen? Wohin sind wir abgebogen, als wir gekommen sind? Wenn wir nach rechts abgebogen sind, muß ich jetzt nach links. Wenn wir nach links abgebogen sind, muß ich nach rechts. Oder ist es genau umgekehrt?
Scheiße, als ob das noch was bedeutet. Als ob das noch einen Unterschied macht. Geh weiter. Oder laß es bleiben. Leg dich einfach hierhin und warte, bis sie kommen und dich holen. Sie müssen jede Minute hier sein.
Ich gehe. Wenn schon, denn schon. Es ist eine so liebliche Nacht. Ich geh da lang. In der Richtung scheint es etwas heller zu sein.
Was ist das denn, Scheinwerfer? Da kommen sie. Ich sehe Scheinwerfer.
Nein, falscher Alarm. Deine Augen fangen an, dir Streiche zu spielen. Augen sind was Lustiges. Spielen immer Streiche.
Du weißt es. Vielleicht bin ich verrückt. Ich spüre nicht einmal mehr die Kälte. Meine Hände sind nicht mehr kalt. Wo auch immer sie sein mögen. Meine Hände. Ich bin sicher, daß sie hier irgendwo sind. Ich habe sie doch nirgendwo liegen lassen.
Scheinwerfer. Sie kommen. Diesmal wirklich.
Von wegen. Keine Scheinwerfer. Aber ich sehe Lichter. Die Straße runter. Aber keine Scheinwerfer. Vielleicht ist es ein Ufo. Das könnte es sein.
Die Bäume. Am Straßenrand. Der ganze Schnee auf ihnen. Sie sehen aus wie Mönche in weißen Kutten.
Was ist das für Musik? Klingt wie ein Saxophon.
Ich sollte mich hier hinlegen. Ein Schläfchen halten.
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