Unter die Haut: Roman (German Edition)
Prolog
Wieder war Vollmond; er fühlte sich unbesiegbar. Zielstrebig machte er sich auf den Weg, und zuerst lief auch alles wie am Schnürchen, genau wie er es erwartet hatte. Es war wirklich schade, dass außer der lieben kleinen Bess niemand da war, um ihn zu bewundern. Er war einfach großartig – keiner, der ihm zugesehen hätte, hätte das leugnen können.
Doch dann begann alles etwas aus dem Ruder zu laufen, und eine Zeit lang sah es ziemlich heikel aus, bis er es schließlich schaffte, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Aber er hatte von Anfang bis Ende alles durchgeplant, deshalb klappte es letztlich natürlich.
Es war sogar ganz interessant … und Ende gut, alles gut, wie er immer zu sagen pflegte.
Er war kein Mörder, aber in dieser Nacht war er gefährlich nahe daran, einer zu werden. Nicht dass ihn irgendwelche moralischen Bedenken abgehalten hätten, es war einfach nicht sein Ding. Nein, er verschaffte sich seinen Kick, indem er jemandem wehtat und ihn quälte; vor die Wahl gestellt, würde er sich immer dafür entscheiden, denn das allergrößte Vergnügen bereitete ihm die Angst seiner Opfer. Er genoss den hysterischen Klang in ihrer Stimme, wenn sie um Gnade flehten; ihre vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, wenn er mit der kalten Spitze seines Messers ihren Hals liebkoste, ihre Gesichter, ihre Brüste; er genoss das vergebliche Aufbäumen der Frauen, wenn er ihren Widerstand brach. »Wenn du zum Weib gehst, vergiss die Peitsche nicht« – dieser Nietzsche war ein Mann nach seinem Geschmack: Der hatte die richtige Einstellung. Das Vergnügen vorzeitig zu beenden, indem er tötete, erschien ihm unnötig, sinnlos … geradezu hirnrissig. Es reichte ihm, sie auf die gute altmodische Art nahezu um den Verstand zu bringen. Nicht ohne Grund ließ er die Damen immer mit einer bleibenden Erinnerung zurück. Er wusste, dass sie sich im tiefsten Inneren danach sehnten, was er mit ihnen anstellte, und er bemühte sich nach Kräften, dieses Verlangen zu stillen. Er wünschte allen seinen Opfern ein langes und erfülltes Leben – viele, viele Jahre, in denen sie sich seiner erinnern konnten.
Aber in dieser Nacht ging irgendetwas schief.
Er war gerade dabei, sein Markenzeichen, ein Herz, in die Brust der niedlichen Bess zu ritzen, als er merkte, dass sie das Bewusstsein verloren hatte. »Nein, nein, nein, mein Schatz«, murmelte er. »Das kommt gar nicht in Frage.« Er versetzte ihr mit der flachen Hand einen leichten Klaps auf die Wange. »Wach auf, Baby«, befahl er. Sie zeigte keine Reaktion, und ungeduldig versetzte er ihr einen weiteren Klaps. »Komm schon, ich hab nicht die ganze Nacht Zeit. Keiner mag Spielverderber, und wenn ich jetzt erst nach Salmiakgeist suchen muss … also, dann werde ich ihn nicht nur dazu verwenden, dass du wieder aufwachst.« Er richtete einen drohenden Blick auf die blutende Wunde auf ihrer Brust.
Als er den Kopf wieder hob und ihr ins Gesicht sah, stellte er fest, dass ihre Lippen anfingen, sich blau zu verfärben.
»Scheiße!« Er sprang auf und starrte auf sie hinunter. Mit den Zähnen riss er sich den OP-Handschuh herunter und tastete an ihrem Hals nach dem Puls. Er schlug unregelmäßig und schwach unter seinen Fingerspitzen, als er ihn schließlich fand.
Scheiße! Das war nicht vorgesehen. Er hatte vorgehabt, Bess beim Anziehen zu helfen und ihr dann einen Gutenachtkuss zu geben und zu verschwinden, im Vollgefühl seiner Macht.
In ungewohnter Panik schob er seinen Penis zurück in die offene Hose und blickte sich nervös nach irgendwelchen Hinterlassenschaften von sich um, während er den Reißverschluss hochzog und den Knopf am Bund schloss. Er hob sein Messer von der Matratze auf, wischte mit dem Laken Bess’ Blut von der Klinge und steckte es zurück in die Scheide.
Er öffnete die Tür mit der behandschuhten Hand, damit keine Fingerabdrücke am Knauf zurückblieben, und verließ eilig das Zimmer. An der Eingangstür blieb er einen Augenblick stehen und atmete ein paarmal tief durch, um sich zu sammeln und seinen rasenden Puls zu beruhigen, dann unterzog er seine Kleidung einer kurzen Musterung, um sich zu vergewissern, dass das Blut der Schlampe keine Flecken darauf hinterlassen hatte. Er presste die Faust auf sein Brustbein und versuchte, seiner rasenden Wut Herr zu werden.
Dieses dämliche Miststück! Sie hatte alles ruiniert. Bisher war es immer so gewesen, dass sein Zorn im Laufe eines Monats langsam, aber stetig gewachsen war und
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