Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
schlich ich näher. Als eine Papiertüte raschelnd unter meinem Schuh nachgab, fuhr Konrad hoch und erstarrte.
»Hallo.« Ich trat durch den Rundbogen ins Wohnzimmer. »Was machst du da?«
»Das Puzzle, s-s-siehst du doch!« Mürrisch beugte er sich nach vorne und versuchte, einen Teil in das Puzzle einzufügen.
Mein Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. Die Randsteine des Puzzles waren zu einem gigantischen Rechteck gelegt, der Inhalt in diagonalen Reihen. Ein Drittel am rechten, oberen Rand des Puzzles lag noch frei, wodurch das Grau der Spanholzplatte blickte. Es mussten an die dreitausend Teile fehlen. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der ein Puzzle nach so einem System legte, doch war es nicht die präzise Methode, die mir den Atem raubte.
»Die Teile liegen verkehrt herum. Das ist die Rückseite!« Ungläubig starrte ich auf das Brett. Das Puzzle zeigte kein Motiv, bloß eine riesige Fläche aus grünem Filz.
»Ich w-w-weiß. Wie die Rückseite meiner Ansichtsk-k-karten. Diese Seite ist viel interessanter.« Seine Finger huschten von Teil zu Teil. Mit flinken Bewegungen drehte er solange an einem Stein, bis er in eine freie Stelle passte.
»Das ist unmöglich.«
»Nichts ist unmöglich, das hast du s-s-selbst gesagt«, antwortete er. »Es ist eine Heraus-f-f-forderung. Das bin ich meinen K-K-Karten schuldig.«
Mein Mund war schlagartig ausgetrocknet, die Zunge klebte wie ein Stück Styropor an meinem Gaumen.
»Man muss die Teile nur sortieren, hier die Teile mit vier Zapfen, da mit drei Zapfen und dort mit zwei Zapfen, s-s-siehst du?« Mit einer fahrigen Handbewegung deutete er auf drei grüne Haufen aus Puzzleteilen. »Da die Teile mit nur einem, dort die Teile ohne Zapfen ... kleine Zapfen, große Zapfen, schräge, r-r-rechteckige, quadratische, mit runden oder eckigen Kanten. Es gibt s-s-so viele Möglichkeiten, aber ich kenne sie alle.«
»Konrad – lass das!«, mahnte ich ihn.
»Ich soll das lassen?« Er wühlte im größten Haufen nach einem weiteren Teil. »Ich habe geschafft, was andere nicht einmal versuchen würden. Es so zu legen, ist ein Meisterwerk! Brueghel würde es verstehen, er wäre stolz auf mich.«
Er sog die Luft tief ein.
»Wie kannst du deine Zeit nur mit diesem Scheiß verschwenden?«, fuhr ich ihn an.
»Sch-Sch-Scheiß?«, rief er. Schützend legte er die Hand auf das Puzzle. »Du selbst hast es mir geschenkt!«
»Ja, aber doch nicht so«, rechtfertigte ich mich und deutete über die grüne Fläche. »So macht es doch keinen Spaß.«
»Du verstehst nicht. Es soll keinen Spaß machen.« Er strich mit der Hand über das Puzzle. »Nächste Woche habe ich f-f-fünf Tage Urlaub, da werde ich die Aufgabe beenden.«
»Komm, gehen wir auf ein Bier ins 15er Pub «, schlug ich vor. »So wie früher.«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Zeit«, antwortete er knapp. Ein Puzzleteil fügte sich in eine freie Stelle, worauf Konrads Augen aufleuchteten. »Siehst du! Passt! Schon w-w-wieder ein Teil. Das Zweiundachtzigste heute.«
»Das Zweiundachtzigste heute?«, wiederholte ich stumpfsinnig und blickte auf die Armbanduhr. Vier Uhr an einem Samstagnachmittag. »Du brauchst eine Pause«, unterbrach ich ihn. »Geh mit mir auf ein Bier. Anschließend kannst du weiterarbeiten.«
»Hier ist der zweiundachtzigste Puzzlestein, er passt genau ins Puzzle rein«, gab er in einem kichernden Singsang von sich.
»Herr Schockke macht sich Sorgen um dich«, versuchte ich es erneut.
»Siehst du, hier fehlt ein rechteckiges Teil mit mindestens z-z-zwei Zapfen, abgerundeten Ecken und schräger Kante, und die finde ich ... dort! Drei bis vierhundert Teile, mehr können das nicht sein.« Seine Finger hantierten flink mit den Steinen. »Das habe ich in einer Viertelstunde. Dreißig Teile möchte ich heute noch schaffen.«
»Konrad, du musst eine Pause machen, komm mit mir, wir gehen ...«
»Vielleicht schaffe ich heute sogar noch diese Reihe«, antwortete er, den Blick auf die Teile gerichtet. Die glasigen, rotgeränderten Augen zuckten hin und her. »Nur noch d-d-diese Reihe, und morgen in der Früh mache ich weiter.«
»Mit dir kann man kein vernünftiges Wort reden!«, brüllte ich.
Er zuckte zusammen. »Du redest und redest und r-r-redest«, flüsterte er, »wie meine Exfrau. Aber du bist ruhig und hörst mir zu.« Er tastete über die grüne Fläche.
Ich antwortete nicht, sondern stand lange Zeit bewegungslos unter dem Rundbogen, während ich Konrads nervöse Bewegungen
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