Unter ihrer Haut: Erotische Vampirstory (German Edition)
übersinnliche Kräfte besitzt. Cole kann die Gedanken anderer kontrollieren wie kein anderer Vampir seit Beginn der Aufzeichnungen: Telepathie, Suggestion, Beeinflussung, Hypnose. Merle weiß, dass er in fünfundzwanzig Tagen wahrscheinlich alles mit ihr machen kann. Sie komplett um den Verstand bringen.
Aber sie weiß auch, dass vampirische Gedankenkräfte nicht unwiderstehlich sind. Es kommt nur darauf an, ihre Emotionen in Zaum zu halten.
Wie Merles Mutter zu sagen pflegt, ist vieles von dem, was man sich über Vampire erzählt, nicht wirklich wahr. Aber eine der Legenden stimmt ganz eindeutig. Man muss sie einladen.
Wie alle Vampirbehausungen ist das Schloss des Clans des Schwarzen Smaragds durch schwere Zauber geschützt, unsichtbar und nicht zu entdecken. Merle lässt den Taxifahrer an einer Stelle anhalten, die wie irgendwo im Nirgendwo aussieht, und wirft die kleine Eisenkugel, die dem Brief beigelegen hat, zwischen die Bäume. Die Realität reißt auf wie zerbrochenes Glas, und mit einem Mal ist das gewaltige, herrschaftliche Schloss vor ihr so real, dass man sich nicht vorstellen kann, wie diese Landschaft vor einer Sekunde ohne das Gebäude ausgesehen hat.
Sie geht die mit knirschendem Kies bestreute Auffahrt hoch, bleibt vor dem Tor stehen und wartet auf Punkt sechs Uhr. Als ihre Uhr »5.59« anzeigt, streckt sie die Hand aus und will den gewaltigen Türklopfer betätigen, aber bevor sie ihn berühren kann, öffnet sich die Tür knarrend.
Die Frau, die um den Türrahmen späht und darauf achtgibt, nicht von den letzten Sonnenstrahlen berührt zu werden, ist eindeutig ein Vampir – und außerdem ein Bild purer Dekadenz. Die blonde Vogelnestfigur sitzt ihr schief auf dem Kopf. Ihre Brüste, Hüften und Lippen sind üppig und voll, und sie trägt ein weißes Spitzenkleid, das ihren Körper stärker zu enthüllen scheint, als wäre sie vollkommen nackt. Sie wirkt wie Marilyn Monroe in einer pornografischen Version des Lebens der Marie Antoinette. Nur dass sie aussieht, als hätte sie deren sprichwörtlichen Kuchen komplett selbst gegessen.
Sie trägt Fangzähne im Mund und an ihrer Unterlippe klebt etwas getrocknetes Blut.
Verglichen mit ihr fühlt sich Merle mit ihrem kurzen, glatten Haar und ihrem nicht besonders hochgewachsenen, geraden Körper vollkommen geschlechtslos. Sie trägt einfache Bluejeans, ein dunkelblaues T-Shirt und eine schlammbraune Cordjacke. Sie hatte nicht aussehen wollen, als hätte sie sich extra fein gemacht. Aber die Frau an der Tür lässt sie wünschen, sie hätte sich etwas aufregender gekleidet.
Die Frau strahlt nicht nur Sex aus, sondern vermittelt Merle das Gefühl, es sei die einzig akzeptable Möglichkeit der Existenz, Sex auszustrahlen. Sie stellt fest, dass sie die Schultern hochzieht, weil sie hofft, dass die Frau nicht bemerkt, dass sie im Vergleich zu ihr weder Busen noch Hüften besitzt. Sie holt tief Luft. »Ich bin Merle Cobalt.«
» Ich weiß, wer Sie sind, meine Liebe «, sagt die Frau, dreht sich um und geht voran, ins Schloss hinein. Sie wirkt wie ein Schiff unter Segeln und rollt, wirbelt und bläht sich mit jedem ihrer geschmeidigen Schritte.
Merle trottet hinter ihr her. Hinter der beeindruckenden Tür liegt eine riesige Eingangshalle, die fünfmal so groß ist wie der Rezeptionsbereich bei Cobalt. Sie ist prachtvoll, ganz alte Vampirschule – rund und kalt und mit hallenden Steinplatten ausgelegt.
»Lassen Sie Ihren Koffer hier«, sagt die Frau, ohne sich umzusehen. »Sie werden mir ins Verlies folgen.«
»Ins Verlies?« Die Härchen in ihrem Nacken prickeln. Ihr Magen überschlägt sich. Aber sie ist schon so lange mit den Nerven am Ende, dass es ihr fast normal vorkommt.
Die Frau geht bereits auf eine kleine Holztür zu, die mit schweren Riegeln gesichert ist. Sie zieht sie zurück, und dahinter kommt eine dunkle Treppe zum Vorschein, die in den Bereich unterhalb des Schlosses führt. Dann wirft die Frau Merle über die Schulter einen stahlharten Blick zu und beginnt hinunterzugehen.
Merle schluckt heftig und folgt ihr.
Die Stufen setzen sich endlos fort und führen tiefer und tiefer. Es wird dunkler, kälter und feuchter. Die reale Welt entfernt sich. Das einzige Licht stammt von ein paar kläglichen Kerzen, die in kleinen Wandnischen flackern. Wenn dieser lange Abstieg in den Kerker den unglücklichen Gefangenen einschüchtern soll, dann funktioniert es wirklich gut.
Am Fuß der Treppe entspringt ein schmaler Gang, von dem in
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