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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Augen. Trotzdem war Shreiber insgeheim dankbar dafür, daß das Großraumbüro mit den Dutzenden Datenendstellen fensterlos war. Die kahlen, massiven Wände boten Schutz vor den erdrückenden Fassaden der Verwaltungsgebäude und Fabrikhallen, vor den rauchenden Schornsteinen, dem Lärm der Maschinen – und vor den lauernden Augen des Feindes.
    Die Männer und Frauen, die wie Shreiber tagtäglich vor den Monitoren saßen, giftgrüne Zahlen- und Ziffernkolonnen vorbeiflackern sahen, sie mit Hilfe des Computers zu Tabellen, Listen, Analysen, Prognosen und Gewinn- und Verlustrechnungen verquirlten, bewegten sich unruhig. Aber nur hier und da blickte einer von ihnen auf und wenn, dann nur kurz und verstohlen, denn es gab festgesetzte Normen, die sie am Tag zu erfüllen hatten und die ihnen nicht viel Zeit für Zwischenfälle wie diesem ließen.
    »Verzeihen Sie«, sagte Shreiber gereizt. »Es tut mir leid. Aber durch die Juli-Listen für die Einkaufsabteilung …«
    »Ersparen Sie mir nutzlose Debatten, Shreiber«, unterbrach Blattern glatt. Mit seinen langen weißen Fingern strich er über den Stoff seiner enggeschnittenen Jacke. Es raschelte leise. »Ich erwarte«, fuhr Blattern fort, »daß die Unterlagen bis Punkt vierzehn Uhr fertig sind. Punkt vierzehn Uhr. Ich verlasse mich darauf.«
    »Aber …« Shreiber biß sich auf die Unterlippe. Nein, sagte er sich grimmig, nicht auf diese Art. Er glaubte nicht, daß auch Blattern eine Marionette des Feindes war, aber ein Rest von Mißtrauen blieb trotzdem zurück. Schließlich befand sich Blattern in einer Position, die ihm erlaubte, direkten Druck auf Shreiber auszuüben. Vermutlich käme es dem Feind sehr gelegen, wenn er jetzt seine Beherrschung verlor, denn jegliche Gefühlsaufwallung erleichterte dem Feind die Übernahme, rief ihn herbei, in seiner ganzen grausigen Fremdheit … Noch war er nicht in seine unmittelbare Umgebung eingesickert, noch gab es Möglichkeiten, den Feind abzuschütteln, doch jeder Fehler, jede unbedachte Handlung verminderte Shreibers Chancen und engte seine Handlungsfreiheit ein.
    Lautlos entfernte sich Blattern.
    Shreiber sah ihm verstohlen nach. Wie ein Tier, dachte er. Blattern bewegte sich wie ein Raubtier; schleichend, aber nicht im Verborgenen, räsonierend und Galle sabbernd, eine Hyäne, die ein Leichenschauhaus inspizierte … Gehörte er etwa doch dazu? War Blattern einer der Beobachter? Shreiber schüttelte sich unwillkürlich und versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, auf die grünen Computerzahlen.
    Er würde die Mittagspause durcharbeiten müssen, erkannte Shreiber, als er den Umfang des Auftrages überblicken konnte. Ihm blieb keine andere Wahl, und selbst dann war es fraglich, ob er es wirklich schaffen würde. Aber es war nicht seine Schuld, zum Teufel! Für einen winzigen Moment fühlte sich Shreiber versucht, aufzuspringen und hinter Blattern herzubrüllen Es liegt nicht an mir, du Idiot! Es liegt an der gottverdammten Zeit! Zu kurz, du Affe! Kein Arsch kann das alles in dieser kurzen Zeit schaffen! Aber natürlich blieb er sitzen, beäugte den Monitor, streichelte mit den Fingerspitzen die Schreibmaschinentastatur des Eingabegerätes und notierte und speicherte Zahlen, Buchstaben, Kodierungen.
    »Das ist Ihr Problem, Wollmann. Wenn Sie das nicht schaffen, dann werden Sie heute eben länger hierbleiben müssen, nicht wahr?« echote von irgendwo aus den Tiefen des Großraumbüros Blatterns nasale Stimme. »Ich meine, das ist ein guter Rat, verstehen Sie? Zu Ihrem Besten. Sie haben doch auch gehört, daß wieder durchgeforstet und freigesetzt wird, oder? Ich würde Sie nur ungern verlieren, Wollmann. Wirklich nur ungern.«
    Shreiber nickte sachte. Er war mit sich zufrieden. Blattern war tatsächlich ein gefährlicher Mann, selbst wenn er nicht für den Feind arbeitete. Es war raffiniert von ihm gewesen, sich zurückzuhalten. Er durfte seine Kräfte nicht aufsplittern. Der Feind gewann an Boden. Ständig. Nur mit äußerster Anstrengung würde Shreiber ihm widerstehen können. Es war wichtig, daß er geschickt taktierte. Denn er war allein. Aber vielleicht war dies die beste Lösung.
     
    Er besitzt kein Gesicht.
    Kennt keine Barmherzigkeit.
    Denn er ist der Feind.
     
    Natürlich begannen nach einer Weile wieder Shreibers Augen zu schmerzen. Es lag an dem Licht der quadratischen Fluoreszenzplatten an der hohen Decke. Und an dem Flimmern der kleinen grünen Computerzahlen auf dem Monitor. Die Augen wurden

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