Untergang
aber einen Schuldigen müsse es ja wohl geben, und sie weigerte sich, auf Libero zu hören, der zu ihr sagte, dass dies wahrscheinlich umsonst sein würde, es musste durchsucht werden, jetzt musste durchsucht werden, und sie durchleuchteten die Wohnung von oben bis unten, drehten und wendeten die Dinge von Agnès und Izaskun, welche die Infragestellung ihrer Ehrlichkeit sehr übel nahmen, sie hoben die Alkoholkartons im Schuppen hoch und die unterm Tresen, ohne fündig zu werden, und Rym schrie, dass noch weiter gesucht werden müsse. Libero versuchte, sie zur Vernunft zu bringen, aber sie wollte nichts hören und er wurde schließlich wütend.
»Verdammt! Es gibt doch Banken, oder? Man muss schon reichlich bekloppt sein, seine Kohle zu Hause aufzubewahren! Die ist weg, die siehst du nicht wieder, kapiert? Das kann irgendwer gewesen sein, eine der dummen Säue, die euch ficken kommen, ich selbst, wenn du willst, aber das ändert nichts, du wirst deine Kohle auf keinen Fall mehr wiedersehen. Du wirst sie nicht mehr wiedersehen.«
Rym senkte den Kopf und schwieg. Es kam nicht mehr infrage, im Club einen trinken zu gehen. Auf dem Weg nach Hause blieb Judith plötzlich stehen und begann zu weinen.
»Was hast du? Ist es wegen Rym?«
Judith schüttelte den Kopf.
»Nein. Wegen dir. Entschuldige. Es tut mir zu weh, dich so zu sehen.«
Matthieu empfing ihr Mitgefühl wie eine Beleidigung, die schlimmste in Wahrheit, die ihm je zugefügt worden war. Er riss sich zusammen, um ruhig zu bleiben.
»Ich werde dich zum Flieger bringen. Morgen.«
Judith trocknete ihre Tränen.
»Ja.«
Er war sich sicher, sie nie mehr wiederzusehen. Er wusste nicht, dass er bald schon verstehen sollte, wie sehr diese verletzenden Worte vor Liebe überbordeten, denn niemand hatte ihn je so geliebt und sollte ihn je wieder so lieben wie Judith, und einige Wochen später, in der Nacht der Plünderung und des Blutes, die die Welt in Asche legen sollte, ist es wieder Judith, an die er denkt, und ist es wieder sie, an die er sich wendet, ohne die Uhrzeit zu bedenken, kurz nachdem er mit Aurélie telefoniert haben wird. Die Welt litt nicht an der Anwesenheit von Fremdkörpern, sondern an ihrer inneren Fäulnis, an der Krankheit der alten Reiche, und die Abreise von Judith wird von daher nichts ändern. Nach nur wenigen Tagen kündigte Rym und niemand versuchte, sie zurückzuhalten. Sie war übellaunig geworden und verbittert, sie unterhielt seit der Nacht der Durchsuchung scheußliche Beziehungen zu Agnès und Izaskun und konnte die Vorstellung nicht ertragen, mit derjenigen Person vielleicht in enge Berührung zu kommen, die sie um ihre Zukunft betrogen hatte. Gratas wurde damit betraut, sie hinter der Kasse zu ersetzen, aber es war nicht grade leicht für ihn, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, da Virginie ihn permanent befummeln kam, sodass es inzwischen notwendig war, mit der Anwesenheit zweier brunftiger Pärchen zu rechnen, deren gemeinsame Anstrengungen den Ablauf der Geschäfte beeinträchtigten. Libero mühte sich vergeblich ab, auf einer Klaviatur einzugreifen, die vom Flehen bis zur Drohung reichte. Pierre-Emmanuel ergötzte sich daran, ihn rasend zu machen, er gab Izaskun Befehle, die sie mit serviler Dienstbeflissenheit befolgte, als wäre er der Herr des Hauses, er rief sie zum Mikro, um ihr seine ganze Zunge in den Rachen zu stopfen, nicht ohne ihr dabei energisch den Hintern durchzukneten, und Libero war kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
»Ich werde ihm noch den Schädel einschlagen, diesem kleinen Wichser!«
Pierre-Emmanuel hatte das kleine, in Zeiten mit Annie in Gang gesetzte Spielchen perfektioniert, das darin bestand, Benachteiligte in ihrer Frustration noch zu bestärken, indem er ihnen das Schauspiel seiner eigenen sexuellen Selbstverwirklichung auftischte. Virgile Ordioni war sein Lieblingsopfer. Er überwältigte ihn mit Vertraulichkeiten aus dem Alkoven, befragte ihn mit vorgetäuschter Treuherzigkeit nach dem, was er mit einer Frau anstellen würde, wenn er mit einer allein sein dürfte, bot Virgiles Besonnenheit ein Spektrum an Praktiken, lüsterner die eine als die andere, von denen er diejenige benennen sollte, die ihm am meisten zusagte, Virgile lachte und würgte an seinem Speichel, er war violett, und Libero versuchte erneut zu intervenieren, »Wirst du ihn jetzt mal endlich in Frieden lassen, sag mal?«, und Pierre-Emmanuel beteuerte seine Redlichkeit und Freundschaft, indem er Virgile auf die Schulter
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