Untergang
erschienen, als hätte der Gott der Logik selbst sich über ihre Schulter gebeugt, und Matthieu stimmte mechanisch zu, obgleich er nichts hören wollte von Frege, Schopenhauer, der Sorbonne, er dachte an Izaskun, mit der er nicht mehr schlafen konnte, da er für die Zeit von Judiths Aufenthalt wieder zurück ins Haus der Familie musste, um sie nicht allein der düsteren Gesellschaft seiner Mutter und seines Großvaters zu überlassen, was er für sein Leben gern getan hätte, und voller Ungeduld wartete er auf den gesegneten Moment, da er sie zum Flieger bringen würde. Sie schien im Übrigen auch nicht glücklich zu sein im Dorf, sie schlug ununterbrochen irgendwelche lächerlichen Kulturausflüge vor, wollte zum Strand, sagte, dass Virgile Ordioni ihr Angst bereite, und vom Alkohol bekam sie Migräne. Matthieu ertrug diese offensichtlichen Bekundungen ihres Widerwillens, bis er Judith schließlich für sein Unglück verantwortlich machen konnte. Eines Nachts, obgleich allen anderen Nächten so ähnlich, blieb Pierre-Emmanuel in einer Ecke des Gastraums sitzen, ohne offenkundigen Grund, während die Mädchen den Raum reinigten, und als sie fertig waren, wandte sich Izaskun an ihn und gemeinsam gingen sie weg. Ein heißer Lavastrom bahnte sich seinen Weg durch Matthieus Eingeweide. Er hielt die Augen gerichtet zur Tür, als hoffte er, sie wiederkommen zu sehen, und Judith legte ihm die Hand auf den Arm.
»Bist du in dieses Mädchen verliebt?«
Das war eine idiotische Frage, eine schlecht gestellte Frage, auf die er nicht hatte antworten können, da ihm schien, die Liebe und die Eifersucht hätten nichts zu tun mit dem Schmerz, der jetzt unerträglich in ihm brannte, Izaskun war seine Schwester, er rief es sich in Erinnerung, seine zarte, inzestuöse Schwester, in der Bar bekundete er ihr niemals irgendwelche Zeichen der Zuneigung, er hatte keinerlei Verlangen danach, sein Territorium öffentlich zu markieren, wie es die meisten Männer so gerne tun, und niemand hätte denken können, wenn er sie so beobachtet hätte, dass da auch nur irgendetwas gewesen wäre zwischen den beiden, und was war denn auch schon zwischen ihnen außer der Intimität des gemeinsamen Schlafes und der Erfüllung des Rituals, das die Stabilität der Welt sicherte? Im Namen wovon hätte er sich denn eifersüchtig fühlen sollen? Und er rief es sich in Erinnerung: Was schon könnte man ihm nehmen, das am Ende nicht doch wieder zu ihm zurückkommen würde? Aber es war ihm unmöglich geworden, sich erhaben zu fühlen und unbezwingbar, die Fundamente der Welt waren angeschlagen, die Risse zu Spalten geworden, und am Folgetag warf Izaskun den ganzen Abend über feuchte Blicke auf Pierre-Emmanuel, sie unterbrach ihre Arbeit, um ihn zu küssen, um sich an ihn zu kleben, trotz Liberos Zurechtweisungen, auf die sie mit obszönen, dahingemurmelten iberischen Verfluchungen reagierte, und Matthieu musste sich sehr wohl eingestehen, dass er in der Tat vor Liebe und Eifersucht verging, obgleich er seine geliebte Schwester nicht wiedererkannte in der verliebten und schnurrenden Muschi, die da Abend für Abend die Albernheit ihrer Leidenschaft zur Schau trug, und er wusste, dass sie nicht zu ihm zurückkehren würde, er konnte sich nicht davon abhalten, an Pierre-Emmanuels sexuelle Leistungsschau zu denken, er sah es genau, unerträgliche Bilder, er hörte die Schreie, die Izaskun nie mit ihm zusammen ausgestoßen hatte, und er übertrug all seinen Hass auf Judith, deren Ankunft das Signal zur Apokalypse gegeben hatte. Sie war ein Fremdkörper, den die Welt zurückstieß mit rauen, chaotischen Gewaltaufwallungen. Schluss mit Fülle und Harmonie. Unheil folgte auf Unheil. Judith und Matthieu warteten darauf, dass Libero mit der Kassenabrechnung fertig wurde, damit sie im Nachtclub was trinken gehen konnten, als Rym in der Bar auftauchte, in Höschen und T-Shirt, völlig panisch, all ihr Geld sei verschwunden, ein Jahr Trinkgeld plus Erspartes, sie habe es in einer kleinen Schachtel bei ihren Klamotten aufbewahrt, niemand habe es gewusst bis auf Sarah, und sie würde sie jetzt nicht mehr finden, sie sei sich nicht sicher, wann sie sie das letzte Mal gesehen habe, sie redete von Vorhaben, die sie niemals würde verwirklichen können, von ihren Träumen einer jungen Frau, bei der sich noch nie jemand darum geschert hätte, herausfinden zu wollen, was sie zu träumen eigentlich fähig war, sie wolle Hilfe, sie wolle die Wohnung durchsuchen, ohne wen anzuklagen,
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