Untergrundkrieg
an. Nach dem Anschlag ließ ich mich noch eine Woche krank schreiben, aber ich fühlte mich noch lange danach körperlich schlapp. Die Atembeschwerden blieben, und ich hatte beim Arbeiten Konzentrationsschwierigkeiten. Im Verkauf muss man ja viel reden, aber beim Reden bekam ich keinen Sauerstoff in die Lunge und musste ständig nach Luft schnappen. Außerdem schaffte ich es kaum, eine Treppe hinaufzusteigen, und musste unterwegs x-mal Pause machen. Jedenfalls fiel mir die Arbeit im Verkauf sehr schwer.
Eigentlich wäre es besser für mich gewesen, mich längere Zeit krankschreiben zu lassen, aber meine damalige Firma ließ sich nicht darauf ein. Ich arbeitete von neun bis fünf plus Überstunden. Das war schwer für mich. Die Leute interessierten sich oft auf eine sonderbare Art für mich. Neugierige Kunden sprachen mich darauf an, wie man sich als Sarin-Opfer fühle: »Herr Yamazaki, Sie haben doch Sarin abgekriegt, nicht wahr?« Alle wussten davon. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, nicht ständig daran erinnert zu werden, aber das verstand natürlich niemand. Dass ich die Stelle gewechselt habe, hatte aber nicht unmittelbar mit dem Anschlag zu tun. Dafür gab es andere Gründe.
Beim Sport muss ich mich noch immer zurückhalten. Früher konnte ich zwei Stunden am Stück Snowboard fahren, jetzt höchstens noch anderthalb. Beim Basketball ist es am schlimmsten. Ich spiele zwar noch in meiner Vereinsmannschaft, aber es fällt mir schwer.
Als ich aus dem Krankenhaus kam, habe ich eine Zeit lang eine Sauerstoffflasche benutzt, wenn ich unter Atemnot litt. Wie die Baseballspieler im Tokyo-Dome. Sie ist nicht größer als eine Dose Insektenspray mit einem Mundstück daran. Meine Freundin hat sie bei Loft für mich gekauft, und ich hab sie neben mein Bett gestellt und inhaliert, wenn die Luft knapp wurde.
Der Sarin-Anschlag hatte auch sein Gutes: Meine Freundin und ich verstehen uns jetzt besser. Bis dahin hatten wir uns andauernd gestritten und nie Rücksicht auf die Gefühle des anderen genommen. Ich habe nicht einmal gewusst, wie sie eigentlich zu mir stand. Deshalb war ich ziemlich überrascht, als sie in Tränen aufgelöst ins Krankenhaus gestürzt kam. »Ich dachte, du stirbst«, sagte sie völlig außer sich. Damals war mein Chef auch da, und sie hielt vor seiner Nase meine Hand. Sie hat mich jeden Tag besucht, und als ich entlassen wurde, hat sie mich abgeholt und nach Hause gebracht. Wir hatten unsere Beziehung in der Firma geheim gehalten. Aber als sie vor dem Chef meine Hand gehalten hat, waren wir enttarnt ( lacht ). Aber wahrscheinlich hat er sowieso davon gewusst.
Auf der Rakunan-Oberschule in Kyoto war ich mit Yoshihiro Inoue im gleichen Jahrgang, aber nicht in einer Klasse. Die Rakunan-Schule ist ziemlich bekannt. Wir fuhren immer mit demselben Bus zur Schule, und ich habe ihn ziemlich oft gesehen. Ein Freund von mir war mit Inoue in einer Klasse, so lernte ich ihn kennen. Aber ich habe mich nie mit ihm unterhalten.
Murakami: Aber Sie erinnern sich noch gut an ihn?
Ja, sehr gut. Von Anfang an fand ich ihn sehr düster. Schräg. Hinterhältig. Er war mir auf den ersten Blick unsympathisch. Deshalb habe ich auch nie mit ihm geredet. Wenn man jemanden reden hört, weiß man ja meist schon, ob man etwas mit ihm zu tun haben will oder nicht. Und mit ihm wollte ich nichts zu tun haben. Als ich einmal zuhörte, wie mein Freund mit ihm sprach, wusste ich gleich, dass er nicht mein Fall war. In der elften Klasse bin ich in Tokyo zur Schule gegangen, aber ich habe von meinem Freund gehört, dass Inoue im Klassenzimmer dauernd Zazen 16 praktiziert und meditiert hat.
Ich hatte viele Freunde, mit denen ich Motorrad gefahren bin. Ich bin gern im Freien. Aber Inoue war ein ganz anderer Typ.
Als nach dem Sarin-Anschlag Bilder von Aum-Mitgliedern in der Zeitung und im Fernsehen gezeigt wurden, kam mir das Gesicht von einem der Anführer gleich bekannt vor. »Den kenne ich doch«, dachte ich. Das war zwei Wochen nach dem Anschlag. Ich rief sofort meinen Freund an, mit dem ich auf der Rakunan-Schule war. Er bestätigte mir, dass es Inoue war.
Ich war unheimlich sauer. Um nicht zu sagen, sauwütend. Es hatte nichts mit meiner Abneigung aus der Schulzeit zu tun, es lag an etwas anderem. Ich hatte die Schule zwar in Tokyo abgeschlossen, aber ich war immer noch stolz auf die Rakunan-Schule und konnte es nicht fassen, dass einer ihrer Schüler etwas so Furchtbares tat. Ich war schockiert und enttäuscht.
Ich
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