Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
junge Mann, den Herr Ichiba bewusstlos vor dem Bahnhof Shibuya gefunden und ins Krankenhaus gebracht hat. Während der Interviews klärte sich übrigens die Identität einiger Personen, deren Wege sich gekreuzt hatten, auch wenn es manchmal gar nicht so einfach war, die Spuren zu verfolgen.
    Herr Yamazaki hat in Kyoto zufällig dieselbe Oberschule besucht wie Yoshihiro Inoue, der zu Aums Führungsriege gehörte. Er hatte Inoue im Fernsehen auf Anhieb erkannt, aber die beiden haben offenkundig nichts gemeinsam. Er interessiert sich für Sport, Basketball, Autos (obwohl er dabei viel vernünftiger geworden ist, wie er selbst sagt) und für das Snowboardfahren. Mit dem düsteren, verinnerlichten und mönchischen Charakter Yoshihiro Inoues verbindet ihn nichts. Schon als er ihm zum ersten Mal im Schulbus begegnete, entschied Yamazaki für sich: »Mit dem kann ich nichts anfangen. Nicht mal reden.« Zehn Jahre nach diesem ersten negativen Eindruck wurde er sehr konkret und auf furchtbare Weise bestätigt – an einem ganz anderen Ort, in der Tokyoter U-Bahn. Das Leben geht seltsam verschlungene Pfade.
    Seit sieben Jahren ist Herr Yamazaki begeisterter Snowboardfahrer und fährt im Winter, auch wenn er viel zu tun hat, einmal in der Woche mit seiner Freundin in den Schnee. Der Anschlag hatte viele unangenehme Folgen, aber auch ein Gutes: Er hat Herrn Yamazaki und seine Freundin enger zusammengeschweißt. Sie vermeiden jetzt sinnlose Streitigkeiten, und er fährt verantwortungsbewusster Auto. Anscheinend ist Herr Yamazaki ganz plötzlich erwachsen geworden. Er interessiert sich sehr dafür, was aus Yoshihiro Inoue wird.
    Heute lebt Herr Yamazaki mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester in Shin-Urayasu.

    Nach der Uni hatte ich große Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden. Ich wollte in die Modebranche, aber nachdem mich drei große Firmen abgewiesen hatten, versuchte ich mein Glück auch in anderen Bereichen. Bauunternehmen, Telefongesellschaften, alles außer der Lebensmittelbranche. Nichts klappte. Es war das Jahr nach der Rezession, und viele waren arbeitslos.
    Schließlich ergatterte ich einen Job bei einem Textilhersteller, bei dem ich bis zum vergangenen März gearbeitet habe. Ich war in der Verkaufsabteilung und fühlte mich nicht genügend gefordert. Ich wünschte mir eine anspruchsvollere Tätigkeit mit mehr Bestätigung.
    Als ich das im Oktober des letzten Jahres meiner Freundin erklärte, beschloss sie, ebenfalls zu kündigen. Also haben wir beide gleichzeitig unsere Jobs aufgegeben. Ihr Vater hat eine Firma – dorthin ist es auch näher ( lacht ) –, und wir sind bei ihm eingestiegen. Es ist ein kleiner Lizenzbetrieb, nur fünfzehn Angestellte. Wir stellen Krawatten für eine italienische Firma her und haben drei Läden in der Stadt. Ich arbeite im Verkauf, das ist sehr spannend. Natürlich ist es ein Familienbetrieb.
    Vor meiner Einstellung bin ich mit dem Chef – dem Vater meiner Freundin – essen gegangen, und er hat mich gefragt, ob ich seine Tochter heiraten wolle. Ich hatte vorgehabt, ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten, sobald ich in der Firma Fuß gefasst hätte. Bin ich nicht ein Glückspilz? ( lacht ) »Natürlich, ich würde sie morgen heiraten!« rief ich. »Immer langsam, aber abgesehen vom Zeitpunkt der Hochzeit bin ich einverstanden. Dann fangen Sie mal bei uns an«, sagte er.
    Also, der Anschlag passierte ja am 20. März. Damals war ich noch bei meiner alten Firma. Wie war das noch? Hatten wir viel zu tun? Einen Augenblick bitte, ich habe noch meinen Terminkalender von damals. ( Geht in ein anderes Zimmer und holt ihn .) Ja, wir waren ziemlich beschäftigt. Mehrere neue Geschäfte hatten aufgemacht, und ich kam abends nie vor elf oder zwölf nach Hause. Ach ja, und Fahrstunden habe ich auch genommen.
    Murakami: Hatten Sie denn noch keinen Führerschein?
    Doch, aber ehrlich gesagt, man hatte ihn mir abgenommen – nach drei Strafzetteln. Zweimal haben sie mich wegen Geschwindigkeitsübertretung in Hokkaido erwischt. Und wenn er einmal weg ist, muss man wieder auf die Fahrschule und die Prüfung wiederholen.
    Am 20. März bin ich eine halbe Stunde früher als sonst aus dem Haus gegangen. Montags hatten wir immer eine Besprechung zum Umsatz vom Wochenende. Deshalb wollte ich um halb neun im Büro sein und bin so in den Sarin-Anschlag geraten. Wäre nicht Montag gewesen, wäre mir das nicht passiert.
    An dem Morgen war ich noch ziemlich müde und erschlagen. Nach dem Wochenende

Weitere Kostenlose Bücher