Untergrundkrieg
Andererseits konnte ich im Gegensatz zu den Leuten, die heraufgetragen worden waren, noch gehen, also war es vielleicht nicht so ernst. Als der Rettungswagen kam und die Sanitäter die Verletzten zum Einsteigen aufforderten, blieb ich zurück, weil ich dachte, es wäre nicht so schlimm.
Ich ging nach Shintomachi, um von dort mit der Yurakucho-Linie zur Arbeit zu fahren. Als ich dort ankam, setzte sich die Personalstelle mit mir in Verbindung und fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Es sei tatsächlich ein Sarin-Anschlag gewesen, und ich solle mich vorsichtshalber im Krankenhaus untersuchen lassen.
Ich machte mich also zu einem Krankenhaus in der Nähe auf. Mir war wirklich schon im Bahnhof Shintomachi alles dunkler vorgekommen, aber ich hatte gedacht, es läge daran, dass es draußen so sonnig war. Später habe ich erfahren, dass dies ein Symptom meiner Sarin-Vergiftung war. Das Kitzeln im Hals war fast verschwunden, und ich konnte rauchen. Dennoch wollte ich lieber einen Test machen lassen.
Als ich im Krankenhaus ankam, hieß es, sie könnten keine Sarin-Tests durchführen. Anscheinend hatten die Ärzte dort noch nicht die Nachrichten im Fernsehen gesehen und hatten keine Ahnung, was vorgefallen war. Das war gegen halb elf. Natürlich hatten sie keine Erfahrung mit Sarin-Tests.
Nachdem ich eine Stunde gewartet hatte, erklärte man mir, es handele sich offenbar um eine pestizidähnliche Substanz. Um sie aus meinem Körper herauszuspülen, solle ich eine Menge Wasser trinken. Dann sei alles wieder in Ordnung. Na gut, dachte ich. Aber als ich an der Aufnahme die Rechnung bezahlen wollte, sagte die Schwester dort, sie habe gerade im Fernsehen gesehen, dass die Betroffenen im St. Lukas-Krankenhaus behandelt werden könnten. »Dort haben sie auch entsprechende Medikamente und können die nötigen Tests durchführen. Fragen Sie doch am besten mal bei der Polizei nach.«
Ich war mir unsicher. Also fragte ich an der Polizeiwache nebenan einen Beamten, welches Krankenhaus Sarin-Tests vornehme. Anscheinend hielt er mich für einen schweren Fall und rief sofort einen Rettungswagen, der mich unverzüglich in ein Krankenhaus brachte. Wir waren zwanzig Minuten unterwegs.
Da ich ein »Schwerverletzter« war, warteten schon drei Ärzte auf mich. Es war mir direkt peinlich, dass ich nur leichte Symptome vorzuweisen hatte. Sie untersuchten mich und sagten, es sei nicht so schlimm, und wenn sich während des Tages keine weiteren Beschwerden einstellen würden, sei alles in Ordnung. Ich bräuchte keine Infusion und keine Medikamente.
Also fuhr ich zurück in die Firma. Meine Pupillen waren nicht sehr stark verengt, und ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange dieser Zustand anhielt.
Nach dem Anschlag hegte die Polizei irgendwie den Verdacht, ich könnte einer der Täter sein. Schon am Samstag der gleichen Woche suchten mich zwei Kommissare zu Hause auf, um mich zu verhören. Der eine musterte mich eingehend und fragte, ob ich schon immer diesen Haarschnitt getragen hätte. Nachdem ich ihnen die Ereignisse geschildert hatte, zeigten sie mir zwei Porträts. »Haben Sie einen von denen in der U-Bahn gesehen?« Der eine sah mir wirklich ziemlich ähnlich. Obwohl ich verneinte, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass sie mich verdächtigten. Die Polizei hielt es für sehr wahrscheinlich, dass die Täter Opfer ihres eigenen Anschlags geworden waren und sich in einem Krankenhaus behandeln ließen.
Zwei oder drei Wochen später, wieder an einem Samstag – ich war gerade nach Hause gekommen – klingelte das Telefon. »Herr Makita? Hier spricht die Polizei. Sie sind jetzt wieder zu Hause, nicht wahr?« Ich wurde zwecks eines Protokolls aufs Revier bestellt. Da sie offenbar wussten, wann ich zu Hause war, wurde ich vermutlich beschattet. Damals war noch nicht sicher, ob die Täter wirklich zur Aum-Sekte gehört hatten, und die Polizei stand ziemlich unter Druck.
Gegenüber der Sekte verspüre ich weniger Wut als einen starken Widerwillen. Auch die Leute, die die Existenz solcher Sekten nicht wahrhaben wollen, sind mir zuwider. Am schlimmsten finde ich die Überzeugungstäter, die auch noch für so eine Gruppe werben.
Während meines Studiums sind innerhalb von drei Jahren meine beiden Eltern und mein Bruder gestorben. Mein Vater war lange krank und dauernd im Krankenhaus gewesen. Daher kam sein Tod nicht überraschend. Aber bei meiner Mutter war es etwas anderes. Sie hatte Herzasthma und sollte eigentlich nur kurz ins
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