Untergrundkrieg
bin ich meistens schlapp. Am Tag davor war zwar Sonntag, aber ich hatte abends gearbeitet. Ich bin eigens zu einem Kaufhaus nach Machida rausgefahren, um mit dem Personal Änderungen der Dekoration zu besprechen. So was geht ja nur, wenn der Laden schon geschlossen ist. Am nächsten Tag war Feiertag, aber ich musste an der Neueröffnung eines renovierten Kaufhauses auf der Ginza teilnehmen. Die Arbeit in der Modebranche sieht von außen betrachtet vielleicht mondän und locker aus, aber hinter den Kulissen geht es ganz schön hart zu. Die Gehälter sind auch nicht berühmt.
Ich steige immer in Hatchobori in den ersten oder zweiten Wagen der Hibiya-Linie ein. Kaum war ich drin, kam die Durchsage: »Einige Fahrgäste sind erkrankt. Deshalb hält dieser Zug in Tsukiji. Entschuldigen Sie die Verzögerung.« In Tsukiji hielt die Bahn, und die Türen gingen auf. Auf einmal fielen vier Leute aus dem dritten Wagen durch die offenen Türen nach draußen. »Aha«, dachte ich. »Das sind die plötzlich erkrankten Fahrgäste.« Da ich an der Tür stand, spielte sich diese Szene genau vor mir ab.
Ein paar Bahnbeamte kamen angerannt und versuchten, die Leute aufzurichten, was ich ein bisschen komisch fand. Panik brach aus. Ein Bahnbeamter schrie in ein Mikrofon: »Krankenwagen! Wir brauchen einen Krankenwagen!« Als Nächstes rief jemand: »Giftgas!«
Murakami: Er hat wirklich »Giftgas« gerufen?
Ja, eindeutig. »Es stinkt! Alle raus hier.« Dann wieder eine Durchsage: »Verehrte Fahrgäste, verlassen Sie sofort den Zug. Begeben Sie sich bitte sofort durch die Fahrkartensperre nach oben.« Drei Bahnbeamte kamen, um zu helfen. Vielleicht hatten Fahrgäste sie geholt, weil ihnen schlecht war, oder so.
Ich rannte nicht. Warum, weiß ich nicht. Ich fühlte mich sehr matt und wollte sitzen. Andere Leute rannten auch nicht und blieben sitzen. Es wurde auch nicht gesagt, dass die Bahn nicht weiterfahren würde. Aber mittlerweile waren alle auf dem Weg nach draußen, und ich kapierte erst jetzt, dass ich auch raus musste. Als einer der Letzten stand ich auf und stieg aus.
Niemand schien sich besonders zu beeilen, es herrschte keine gehetzte Atmosphäre. Obwohl die Bahnbeamten die Leute antrieben: »Gehen Sie schneller. Bitte, begeben Sie sich schnellstens zum Ausgang«, trotteten sie in aller Ruhe vor sich hin. Von einer Explosion oder so was war nichts zu sehen. Die Bahnbeamten schienen in Panik zu sein, aber die Fahrgäste gar nicht. Im Bahnhof standen noch immer viele Leute unentschlossen herum.
Die zusammengebrochenen Fahrgäste rührten sich nicht. Ich überlegte, ob sie vielleicht tot waren. Ein paar hatten die Beine noch in der Bahn, während ihre Oberkörper auf dem Bahnsteig lagen. Sie mussten herausgezogen werden. Obwohl ich das sah, spürte ich immer noch keine Gefahr. Warum, weiß ich nicht. Im Nachhinein kommt mir das sehr sonderbar vor. Warum habe ich die Gefahr nicht gewittert? Aber die anderen um mich herum spürten sie ja auch nicht.
Ohne zu den Verletzten zu gehen, machte ich mich zu dem Ausgang am Hongan-Tempel auf. Ganz plötzlich roch ich etwas Süßliches. Sehr süß, wie Kokosnuss. An der Treppe war dieser Geruch sehr stark. Während ich hinaufstieg, fragte ich mich, was da so süß roch. Auf einmal ging mir die Puste aus. Mir fiel ein, dass ich in der Firma anrufen musste, um Bescheid zu sagen, dass ich zu spät kommen würde. An dem Ausgang ist ein Supermarkt, wo ich telefonieren konnte. Aber es war noch zu früh, im Büro anzurufen, also rief ich bei meiner Mutter an und erzählte ihr, dass die Züge aus irgendeinem Grund nicht weiter als Tsukiji fuhren und dass ich es nicht bis halb neun zur Arbeit schaffen würde.
Schon während des Telefongesprächs bekam ich kaum noch Luft. Nicht dass mein Hals zugeschnürt oder meine Nase verstopft gewesen wäre – ich konnte normal atmen, aber irgendwie kriegte ich zu wenig Sauerstoff. Ich japste und japste, aber meine Lungen schienen nicht zu funktionieren. Ganz seltsam. So ähnlich wie beim Sport, wenn man sich überanstrengt hat.
Endlich ging mir ein Licht auf und ich überlegte, ob ich nicht das Gleiche hätte wie die Bewusstlosen auf dem Bahnsteig. Nach dem Telefongespräch ging ich wieder an den Ausgang zurück. Mir ging es zwar nicht gut, aber ich war doch neugierig, was los war. In dem Moment stürmten Soldaten oder so was in Gasmasken und Kampfanzügen die Treppe hinunter. Bahnbeamte wurden auf Bahren heraufgetragen. Sie sahen furchtbar aus. Speichel
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