Unterm Kirschbaum
als hätte er gerade den Nobelpreis erhalten.
»Worum geht es denn da?«, fragte Orlando der Höflichkeit halber.
»Um einen westlichen Manager, der total ausgebrannt nach Indien geht, um dort seinen inneren Frieden zu finden, und bei einem Guru landet. Das ist eine lange Geschichte, aber am Ende dreht der Manager den Guru um, und der kommt mit ihm nach Berlin, um endlich einmal richtig zu leben. Weil es um einen umgedrehten Guru geht, lautet der Titel auch ›Der Urug‹.«
»Ah ja.«
Mehr fiel Mannhardt zu diesem Thema nicht ein, und da in diesem Augenblick der Chefarzt mit seinem Gefolge das Zimmer betrat, war das auch das Ende ihres Gesprächs. Sie verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg zurück in die Bremer Innenstadt.
»Na?«, fragte Mannhardt seinen Enkel, als sie im Fahrstuhl standen.
»Meiner Ansicht nach war er es«, antwortete Orlando ohne längeres Nachdenken. »Und außerdem bin ich der Meinung, dass er seine Frau umgebracht hat, um sie als Mitwisserin loszuwerden. Von wegen Indien! Wie heißt es so schön: Further research is needed.«
*
Fiel das Wort Oderbruch, kam von Berlinern stets ein ›Ah …‹, denn vieles wurde mit ihm assoziiert: Friedrich der Große hatte begonnen, es trockenzulegen; im Norden, im Bruch hinterm Berge, hatten Ehm Welks Heiden von Kummerow den Erwachsenen den Spiegel vorgehalten; in Bad Freienwalde hatte Walter Rathenau in einem kleinen Schloss seinen Landsitz gehabt – und heute stand am Ortsrand eine Skisprungschanze; über die Kinder von Golzow gab es Dokumentarfilme noch und nöcher; am Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die Schlacht um die Seelower Höhen Tausende von Toten gefordert; auf der Festung Küstrin hatte der junge Friedrich mit ansehen müssen, wie man seinem Freund Katte den Kopf abschlug; und immer wieder gab es ein Hochwasser, bei dessen Bekämpfung sich junge Politiker hervortun und sich für künftige Ämter empfehlen konnten.
Ins Oderbruch hatte es auch Freddie und Gudrun verschlagen. Nach der Pleite des ›à la world-carte‹ hatten sie ihr Erspartes genommen und sich in Kienitz das Restaurant ›Am Deich‹ gekauft. ›Kienitz im Oderbruch, dort, wo der Panzer steht‹, hieß es im Internet.
Die beiden standen auf dem Deich, rauchten und schauten versonnen auf die Oder hinab, deren Wässer gelassen Richtung Ostsee flossen und auf der sich nur selten Lastschiffe, Ausflugsdampfer oder Sportboote sehen ließen. Seit Polen zu den Schengen-Staaten zählte, tuckerten nicht einmal mehr die Schlachtschiffe der Grenzer vorüber. Die Höhenzüge drüben im Polnischen schienen auf einem anderen Planeten zu liegen.
»Was ist tiefer?«, fragte Freddie. »Teller oder Tasse?«
»Die Oder!«, rief Gudrun, stolz auf das Geleistete.
Die beiden waren im Ort gut aufgenommen worden, kamen doch ihretwegen etliche Touristen aus Berlin nach Kienitz, und außerdem hatte Freddie in der Gaststube ein großes Foto hängen, das ihn in der Kienitzer Straße zeigte. Die lag in Neukölln, und dort war er aufgewachsen. Er konnte also mit Fug und Recht behaupten, ein echter Kienitzer zu sein.
»Hast du das gelesen?«, fragte er Gudrun, mittlerweile seine amtliche Ehefrau, sie wie immer neckend.
»Du weißt doch, ich kann nur in deinen Augen lesen, sonst nicht. Was ist denn los?«
»Los ist, was nicht festgebunden ist.«
»Haha.«
Freddie wurde ernsthafter. »Es geht um den Wiederschein.«
Gudrun erschrak. »Wieso denn das?«
»Der Klütz hat sein Geständnis widerrufen, und nun sind sie auf der Suche nach einem anderen Mörder.« Freddie warf seinen Zigarrenstummel auf den Deich. »Ich hab kein gutes Gefühl dabei …«
»Warum das?«, fragte Gudrun.
»Weil ich schon immer geglaubt habe, dass … Als der Schulz damals zu seinem Porsche gegangen ist, da habe ich gestaunt, dass der so komisch geht. Und frühstücken wollte er auch nicht. Wenn das mal nicht die Angela war – als Schulz verkleidet …«
»Und warum hast du der Kripo nichts davon erzählt?«, wollte Gudrun wissen.
Freddie musste nicht lange nach einer Antwort suchen. »Weil man die Henne nicht schlachtet, die einem die goldenen Eier legt.«
Gudrun war für klare Verhältnisse. »Aber jetzt haben wir doch unsere eigene Henne, auch wenn es keine goldenen Eier sind, die sie legt.«
Freddie zog sich auf Kaiser Franz zurück. »Schau’ mer mal.«
*
Mannhardt saß mit der Gefährtin seines Lebens und seinem Enkel am Abendbrottisch und diskutierte die
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