Unterm Messer
Geburtstag wünschen. „Geht es Ihnen gut?“, fragt der Engel besorgt.
„Ja, danke. Und Ihnen?“
„Ahhh.“ Der blonde Engel scheint nachzudenken. „Danke“, lächelt das Wesen dann. „Der Herr Professor hat sich Sorgen gemacht. Soll ich Sie auf Ihr Zimmer bringen?“
Jedes Gästezimmer in einer der umliegenden Pensionen wäre mir lieber als der elegante Raum, in dem ich hier wohne. Doch ich nicke. Ich bin Journalistin. Chefreporterin. Von ein wenig Gesichtspflege mit Säure lasse ich mich nicht unterkriegen. Zumal ja nicht ich auf dem Behandlungstisch gelegen bin. Orientierung ist ohnehin nicht meine Sache. Die ,Beauty Oasis‘ ist ganz schön weitläufig, halb in einen Hügel hineingebaut. Wir betreten den Lift. Spiegel gibt es hier drinnen keinen. Wahrscheinlich fahren auch diejenigen mit dem Aufzug, die gerade ein Säureattentat hinter sich haben. Oder einen Verband um die Nase tragen. Die Kabine ist mit Klimt-Reproduktionen ausgekleidet. „Der Kuss“, „Adele“. Das dritte Bild kenne ich nicht, es zeigt eine junge Frau in weißem, kniekurzem Kleid und es gefällt mir am besten.
„Ich muss zur Rezeption“, sage ich zu meinem Begleitengel und ernte einen misstrauischen Blick. „Mein Schlüssel!“ Sie nickt und wirkt erleichtert. Wäre wohl nicht so fein, wenn die Journalistin vom ,Magazin‘ abreisen würde, nur weil sie von der gefrosteten Frau nicht eben begeistert war. Wir fahren ein Stockwerk nach oben, ich bedanke mich und gehe vor zur Rezeption. Nichts deutet darauf hin, dass hier Menschen operiert werden. Ich bin in der Lobby eines Luxushotels. Weißer Marmorboden auch hier, ein großer weinroter Teppich, der teuer aussieht. Eine junge Frau und ein junger Mann blicken mich lächelnd über das Empfangsdesk hinweg an. Ich komme mir vor wie in einer Fernsehshow. „So, nun musst du dich entscheiden: Nimmst du die junge Frau mit dem bittenden Blick und den verheißungsvollen rosa Lippen oder entscheidest du dich für den jungen Mann mit den Grübchen in den Wangen, der dir jeden Wunsch von den Augen ablesen will?“
„Zimmer 301“, sage ich zwischen den zwei Augenpaaren hindurch. Die junge Frau ist schneller. Sie reicht mir den Schlüssel. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, fragt sie. „Haben Sie unser heutiges Wellnessprogramm schon gesehen oder sind Sie ... in Vorbereitung?“
Ich schüttle den Kopf. Nein, keine Vorbereitung. Sehe ich etwa aus, als ob ich eine Schönheitsoperation nötig hätte? Sie deutet meine Reaktion anders und reicht mir eine dünne Mappe. „In einer Viertelstunde haben wir im Hallenbad Gruppenenergetik. Und auf der Wiese gibt es um 18 Uhr Atemyoga bis Sonnenuntergang.“ Atmen kann ich schon. Und das seit achtundvierzig Jahren.
Das Einzige, was in meinem Zimmer an eine Klinik erinnert, sind die Notfall-Klingelknöpfe und das Bett, das etwas höher ist als übliche Hotelbetten. Ansonsten: helles Holz, fröhlich bunter Teppich, zartgrüne Vorhänge. Und ein Balkon, von dem man über die Hügel des Steirischen Vulkanlandes sieht. Ich schnappe mir das Mobiltelefon, setze mich in den ausladenden Rattansessel, beobachte eine Elster, die wiederum mich zu beobachten scheint, und rufe Vesna an. Meine Freundin hat einen etwas pragmatischeren Zugang zu Schönheitsoperationen als ich. „Wenn es hilft“, hat sie gesagt, als ich ihr vom Thema meiner Reportage erzählt habe. Die Frage ist nur, ob so etwas hilft. Und wem. Geld lässt sich damit sicher eine Menge verdienen.
„Du hast es gut“, sagt Vesna jetzt anstelle einer Begrüßung. „Sitzt in Luxusoase und alle passen auf, dass sie nett sind zu dir. Wollen ja, dass du freundliche Geschichte über Schönheitsparadies schreibst.“
„Ich hab ein Säureattentat miterlebt“, widerspreche ich.
„Während ich hier sitze in Büro und habe Sack voller verrückte Flöhe. Slobo will nicht weiter auf Frau von Firmenboss aufpassen. Er sagt, sie ist hysterisch, es gibt niemand, der sie entführen will. Und Draga kann nicht putzen, weil sie glaubt, sie hat Stauballergie. Hat sie Arbeitallergie. Und Kata will, dass ich ihr fixen Job gebe. Aber nicht in Putzabteilung, sondern in anderer Abteilung mit Nachforschungen. Kann aber nichts außer neugierig sein, und das ist für Detektivjob lange nicht genug. Jana hat zu viel auf Uni zu tun. Und die anderen sind eingeteilt. Und ich soll mit Valentin zu Benefizabend.“
Sie hat offenbar nicht einmal wahrgenommen, was ich ihr erzählt habe. „Irgendwann kriegst du
Weitere Kostenlose Bücher