Unterm Messer
aufzunehmen. Mit Amtshilfe ist in diesem Fall allerdings nicht zu rechnen. Und Dienstreisen nach El Salvador bekommt man bei der österreichischen Polizei auch nicht so ohne Weiteres. Selbst wenn es so aussieht, als wäre die Freundschaft zwischen dem Polizeichef und dem Schönheitschirurgen deutlich abgekühlt.
„Wo ist die Schokolade?“, fragt Oskar. Wir haben vor, morgen Nachmittag endlich wieder einmal für einige Tage ins Veneto zu fahren. Ausruhen, lesen, schwimmen, gut essen, vergessen. Ich deute auf die Tafeln mit der hundertprozentigen Vulkan-Couverture. „Kommt erst später hinein. Null Zucker.“
Er küsst mich noch einmal und geht zurück zu Vesna und Nat und Karl. Ich gieße die Sauce mit Hühnerfond auf, gebe noch einen Spritzer Limettensaft dazu und bröckle die Schokolade ein. Schwarz wie Lava. Induktion auf 80 Grad, 100 Watt. Das reicht. Deckel drauf.
Grünwalds illegale Wissenschaftler haben es offenbar geschafft, unterzutauchen. Ist zu hoffen, dass sie nicht an der Abwasch eines Chinalokals landen. Gencocktails ... Was mich interessieren würde: Wenn die Chinesen und der Russe eine Chance gehabt hätten, legal in Österreich zu leben, hätten sie sich dann trotzdem auf die zwielichtigen Genforschungen von Grünwald eingelassen? Vielleicht nicht. Vielleicht aber doch, Schilling war auf jeden Fall freiwillig dabei. Das Geld, der mögliche Ruhm, die verrückte Vorstellung, zu einer Art von modernem Gott zu werden. Zumindest waren das wohl Grünwalds Träume. Na gut, immerhin hat er es auf das Titelblatt des ,Magazin‘ geschafft. Den Kopf hoch erhoben, den Blick aus den allzu blauen Augen in die Ferne gerichtet, braun gebrannt, das Gesicht mit Botox und Ähnlichem nur in dem Maß verändert, wie es ihm offenbar gefallen hat. Die Nase eine Werbung für seine Firma, die weltweit gleich designte Knorpel vertreibt. Ich finde ja, er sieht schon so schaurig genug aus.
„Der gefallene Gott“, lautet die Schlagzeile. Donnerstagmittag ging die Story vorab über die Austria Presse Agentur an alle Medien: Unerlaubte Genforschung, Menschenversuche samt Doping, die Suche nach ewiger Jugend, nach längerem Leben mit allen Mitteln.
Natürlich haben wir auch Schwester Gabriela zu unserem heutigen Treffen eingeladen. Sobald ihr Karl Simatschek über seinen Studienfreund hat mitteilen lassen, dass der „liebe Mensch“ Sam Miller sei und dass Grünwald und seine Mannschaft endgültig aufgeflogen seien, hat sie den Rosenkranz in ihrer Tasche verstaut und ist zurück ins Kloster. Sie will in den nächsten Wochen überlegen, wie es mit den Hildegard-Schwestern weitergehen soll. Sie habe auf der Neurologie so eine Idee gehabt: Lavendel wirke doch gleichzeitig anregend und beruhigend. Vielleicht wäre es gut, wenn sie sich auf diese eine Blüte konzentrierten und einen neuen Anlauf zur Vermarktung starteten? Sie hat mir heute übrigens eine E-Mail geschickt: „Gott sieht doch alles. Und wenn nicht, helfen wir ihm.“
Ich rühre um, die Schokolade ist inzwischen geschmolzen. Die Sauce kommt in einen hohen Becher. Mein Stabmixer hat Kraft und püriert sie ganz fein. Die Pfanne wische ich nur mit einem Stück Küchenrolle aus, dann noch einmal etwas Schweineschmalz hinein. Ich brate die Hühnerteile rundum bei großer Hitze an, gieße die Mole darüber. Jetzt soll das Ganze bei 100 Grad und wenig Watt eine halbe Stunde köcheln. Was für ein Duft.
Sonntagnachmittag über den Dächern von Wien. Die letzten Sonnenstrahlen. Zeit für ein Glas Rotwein, einfach weil es schmeckt. Menschen mit freundlichem Gesicht, die sich mir zuwenden. Kann schon sein, dass es letztlich immer der Augenblick ist, der zählt. Und dass wir ohnehin ewig leben, eine unmessbare Anzahl von Augenblicken lang.
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