Unterm Rad
war es auch gar nicht schlecht, eine Stunde im Garten unter der Rottanne zu liegen.
Schatten gab es genug, und man konnte lesen oder den Schmetterlingen zusehen. So lag er denn dort bis zwei Uhr, und wenig fehlte, so wäre er eingeschlafen. Aber jetzt ins Bad! Nur ein paar kleine Buben waren auf der Badwiese, die größern saßen alle in der Schule, und Hans gönnte es ihnen von Herzen. Schön langsam zog er die Kleider ab und stieg ins Wasser. Er verstand es, Wärme und Kühlung wechselnd zu genießen; bald schwamm er ein Stück und tauchte und
plätscherte, bald lag er bäuchlings am Ufer und fühlte auf der schnell trocknenden Haut die Sonne glühen. Die kleinen Buben schlichen respektvoll um ihn her. Jawohl, er war eine
Berühmtheit geworden. Und er sah auch so anders aus als die übrigen. Auf dem dünnen,
gebräunten Halse saß frei und elegant der feine Kopf mit dem geistigen Gesicht und den
überlegenen Augen. Im übrigen war er sehr mager, schmalgliedrig und zart, auf Brust und Rücken konnte man ihm die Rippen zählen, und Waden hatte er fast gar keine. Fast den ganzen
Nachmittag trieb er sich zwischen Sonne und Wasser hin und her. Nach vier Uhr kamen die meisten von seiner Klasse eilig und lärmend dahergelaufen. »Oha, Giebenrath! Du hast's jetzt gut.« Er streckte sich behaglich, »'s geht an, ja.« »Wann mußt du ins Seminar?« »Erst im September. Jetzt ist Vakanz.« Er ließ sich beneiden. Es berührte ihn nicht einmal, als im Hintergrund Gespött laut wurde und einer den Vers sang:
Wenn i's no au so hätt,
Wie's Schulze Lisabeth!
Die leit bei Dag im Bett,
So han i's net.
Er lachte nur. Inzwischen entkleideten sich die Buben. Der eine sprang frischweg ins Wasser, andere kühlten sich erst vorsichtig ab, manche legten sich vorher noch ein wenig ins Gras. Ein guter Taucher wurde bewundert. Ein Angstpeter wurde hinterrücks ins Wasser gestoßen und schrie Mordio. Man jagte einander, lief und schwamm, spritzte die Trockenbader am Lande. Das Geplätscher und Geschrei war groß, und die ganze Flußbreite glänzte von hellen, nassen, blanken Leibern. Nach einer Stunde ging Hans fort. Es kamen die warmen Abendstunden, wo die Fische wieder beißen. Bis zum Abendessen angelte er auf der Brücke und fing so gut wie gar nichts. Die Fische waren gierig hinter der Angel her, jeden Augenblick war der Köder
weggefressen, aber nichts blieb hängen. Er hatte Kirschen am Haken, offenbar waren sie zu groß und zu weich. Er beschloß, später noch einen Versuch zu machen. Beim Abendessen erfuhr er, es sei eine Menge von Bekannten zum Gratulieren dagewesen. Und man zeigte ihm das heutige Wochenblatt, da stand unter dem »Amtlichen« eine Notiz: »An die Aufnahmeprüfung zum
niederen theologischen Seminar hat unsre Stadt diesmal nur einen Kandidaten, Hans Giebenrath, geschickt. Zu unsrer Freude erfahren wir soeben, daß derselbe die Prüfung als Zweiter
bestanden hat.« Er faltete das Blatt zusammen, steckte es in die Tasche und sagte nichts, war aber zum Zerspringen voll von Stolz und Jubel. Nachher ging er wieder zum Fischen. Als Köder nahm er diesmal ein paar Stückchen Käse mit; der schmeckt den Fischen und kann in der
Dämmerung gut von ihnen gesehen werden. Die Rute ließ er stehen und nahm nur eine ganz
einfache Handangel mit. Das war ihm das liebste Fischen: die Schnur ohne Stock und ohne Schwimmer in der Hand zu halten, so daß die ganze Angel nur aus Leine und Haken bestand. Es war etwas mühsamer, aber viel lustiger. Man beherrschte dabei jede geringste Bewegung des Köders, spürte jedes Probieren und Anbeißen und konnte im Zucken der Leine die Fische
beobachten, wie wenn man sie vor sich sähe. Freilich diese Art zu fischen will verstanden sein, man muß geschickte Finger haben und aufpassen wie ein Spion.
In dem engen, tief eingeschnittenen und gewundenen Flußtal kam die Dämmerung früh. Das
Wasser lag schwarz und still unter der Brücke, in der untern Mühle war schon Licht. Geplauder und Gesang lief über Brücken und Gassen, die Luft war ein wenig schwül, und im Flusse sprang alle Augenblicke ein dunkler Fisch mit kurzem Schlag in die Höhe. An solchen Abenden sind die Fische merkwürdig erregt, schießen im Zickzack hin und her, schnellen sich in die Luft, stoßen sich an der Angelschnur und stürzen sich blindlings auf den Köder. Als das letzte Stückchen Käse verbraucht war, hatte Hans vier kleinere Karpfen herausgezogen; die wollte er morgen dem Stadtpfarrer bringen. Ein
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