Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
ein Ungläubiger ist. Er wird dir sagen und vormachen, die Heiligen Schriften seien falsch und verlogen, und wenn du mit ihm das Neue Testament gelesen hast, dann hast du selber deinen Glauben verloren und weißt nicht wie.«
    »Aber, Herr Flaig, es handelt sich ja bloß ums Griechische. Im Seminar muß ich's ja sowieso lernen.«
    »So sagst du. Es ist aber zweierlei, ob du die Bibel bei frommen und gewissenhaften Lehrern studieren lernst oder bei einem, der nicht mehr an den lieben Gott glaubt.« »Ja, das weiß man doch nicht, ob er wirklich nicht an ihn glaubt.«
    »Doch, Hans, man weiß es leider.«
    »Aber was soll ich machen? Ich hab' nun schon mit ihm ausgemacht, daß ich komme.«
    »Dann mußt du auch kommen, das versteht sich. Aber wenn er solche Sachen über die Bibel sagt, sie sei Menschenwerk und sei verlogen und nicht vom Heiligen Geist eingegeben, dann kommst du zu mir, und wir reden darüber. Willst du?« »Ja, Herr Flaig. Es wird aber sicher nicht so schlimm sein.« »Du wirst sehen; denk an mich!«
    Der Stadtpfarrer war noch nicht zu Hause, und Hans mußte in der Studierstube auf ihn warten.
    Während
    er
    die
    goldenen
    Büchertitel
    betrachtete,
    gaben
    ihm
    die
    Reden
    des
    Schuhmachermeisters zu denken. Derartige Äußerungen über den Stadtpfarrer und die
    neumodischen Geistlichen überhaupt hatte er schon öfters gehört. Doch fühlte er jetzt zum erstenmal mit Spannung und Neugierde sich selber in diese Dinge hineingezogen. So wichtig und schrecklich wie dem Schuster waren sie ihm nicht, vielmehr witterte er hier die Möglichkeit, hinter alte, große Geheimnisse zu dringen. In den früheren Schülerjahren hatten ihn die Fragen nach Gottes Allgegenwart, nach dem Verbleib der Seelen, nach Teufel und Hölle hie und da zu phantastischen Grübeleien erregt, doch war alles das in den letzten strengen und fleißigen Jahren eingeschlafen, und sein schulmäßiger Christenglaube war nur in Gesprächen mit dem Schuhmacher gelegentlich zu einigem persönlichen Leben aufgewacht. Er mußte lächeln, wenn er jenen mit dem Stadtpfarrer verglich. Des Schusters herbe, in bitteren Jahren erworbene
    Festigkeit konnte der Knabe nicht verstehen, und im übrigen war Flaig ein zwar gescheiter, aber schlichter und einseitiger Mensch, von vielen wegen seiner Pietisterei verhöhnt. In den Versammlungen der Stundenbrüder trat er als strenger brüderlicher Richter und als ein
    gewaltiger Ausleger der Heiligen Schrift auf, hielt auch in den Dörfern herum seine
    Erbauungsstunden, sonst aber war er eben ein kleiner Handwerksmann und beschränkt wie alle andern. Der Stadtpfarrer hingegen war nicht nur ein gewandter, wohlredender Mann und Prediger, sondern außerdem ein fleißiger und strenger Gelehrter. Hans schaute mit Ehrfurcht an den Bücherschäften hinauf. Der Stadtpfarrer kam bald, vertauschte den Gehrock mit einer leichten schwarzen Hausjacke, gab dem Schüler eine griechische Textausgabe des Lukasevangeliums in die Hand und forderte ihn auf zu lesen. Das war ganz anders, als die Lateinstunden gewesen waren. Sie lasen nur wenige Sätze, die wurden mit peinlicher Wörtlichkeit übersetzt, und dann entwickelte der Lehrer aus unscheinbaren Beispielen geschickt und beredt den eigentümlichen Geist dieser Sprache, redete über die Zeit und Weise der Entstehung des Buches und gab in der einzigen Stunde dem Knaben einen ganz neuen Begriff von Lernen und Lesen. Hans bekam eine Ahnung davon, welche Rätsel und Aufgaben in jedem Vers und Wort verborgen lagen, wie seit alten Zeiten her Tausende von Gelehrten, Grüblern und Forschern sich um diese Fragen bemüht hatten, und es kam ihm vor, er selber werde in dieser Stunde in den Kreis der Wahrheitssucher aufgenommen.
    Er bekam ein Lexikon und eine Grammatik geliehen und arbeitete daheim noch den ganzen
    Abend weiter. Nun spürte er, über wieviel Berge von Arbeit und Wissen der Weg zur wahren Forschung führe, und er war bereit, sich hindurchzuschlagen und nichts am Wege
    liegenzulassen. Der Schuhmacher war einstweilen vergessen.
    Einige Tage nahm dies neue Wesen ihn ganz in Anspruch. Jeden Abend ging er zum Stadtpfarrer, und jeden Tag kam ihm die wahre Gelehrsamkeit schöner, schwieriger und erstrebenswerter vor.
    Morgens in den Frühstunden ging er zum Angeln, nachmittags auf die Badwiese, sonst kam er wenig aus dem Hause. Der in Angst und im Triumph des Examens untergetauchte Ehrgeiz war wieder wach und ließ ihm keine Ruhe. Zugleich begann wieder das eigentümliche Gefühl

Weitere Kostenlose Bücher