Unterm Rad
Darauf stand Hans wieder vor seinem Schraubstock und kratzte mit der Feile an dem Rädlein herum. Der Arm tat ihm weh, und die linke Hand, die auf die Feile drücken mußte, war rot geworden und begann zu schmerzen.
Um Mittag, als der Obergeselle seine Feile weglegte und zum Händewaschen ging, brachte er seine Arbeit dem Meister. Der sah sie flüchtig an.
»'s ist schon recht, man kann's so lassen. Unter deinem Platz in der Kiste liegt noch ein gleiches Rad, das nimmst du heut nachmittag vor.«
Nun wusch auch Hans sich die Hände und ging weg. Eine Stunde hatte er zum Essen frei.
Zwei Kaufmannsstifte, frühere Schulkameraden von ihm, gingen auf der Straße hinter ihm her und lachten ihn aus. »Landexamensschlosser!« rief einer.
Er ging schneller. Er wußte nicht recht, ob er eigentlich zufrieden sei oder nicht; es hatte ihm in der Werkstatt gut gefallen, nur war er so müd geworden, so heillos müd. Und unter der
Haustüre, während er sich schon aufs Sitzen und Essen freute, mußte er plötzlich an Emma denken. Er hatte sie den ganzen Vormittag vergessen gehabt. Er ging leise in sein Stüblein hinauf, warf sich aufs Bett und stöhnte vor Qual. Er wollte weinen, aber seine Augen blieben trocken. Hoffnungslos sah er sich wieder der verzehrenden Sehnsucht hingegeben. Der Kopf stürmte und schmerzte ihm, und die Kehle tat ihm weh vor ersticktem Schluchzen.
Das Mittagessen war eine Qual. Er mußte dem Vater Rede stehen und erzählen und sich allerlei kleine Witze gefallen lassen, denn der Papa war guter Laune. Kaum hatte man gegessen, lief er in den Garten hinaus und brachte dort in der Sonne eine Viertelstunde halbträumend zu, dann war es Zeit, wieder in die Werkstatt zu gehen.
Schon vormittags hatte er rote Schwielen an den Händen bekommen, jetzt begannen sie
ernstlich weh zu tun und waren am Abend so geschwollen, daß er nichts anfassen konnte, ohne Schmerzen zu haben. Und vor Feierabend mußte er noch unter Augusts Anleitung die ganze
Werkstatt aufräumen. Der Samstag war noch schlimmer. Die Hände brannten ihn, die Schwielen hatten sich zu Blasen vergrößert. Der Meister war schlechter Laune und fluchte beim kleinsten Anlaß. August tröstete zwar, das mit den Schwielen daure nur ein paar Tage, dann habe man harte Hände und spüre nichts mehr, aber Hans fühlte sich todunglücklich, schielte den ganzen Tag nach der Uhr und kratzte hoffnungslos an seinem Rädchen herum.
Abends beim Aufräumen teilte August ihm flüsternd mit, er gehe morgen mit ein paar
Kameraden nach Bielach hinaus, es müsse flott und lustig hergehen und Hans dürfe auf keinen Fall fehlen. Er solle ihn um zwei Uhr abholen. Hans sagte zu, obwohl er am liebsten den ganzen Sonntag daheim liegengeblieben wäre, so elend und müde war er. Zu Hause gab ihm die alte Anna eine Salbe für die wunden Hände, er ging schon um acht Uhr ins Bett und schlief bis in den Vormittag hinein, so daß er sich sputen mußte, um noch mit dem Vater in die Kirche zu kommen.
Beim Mittagessen fing er von August zu reden an und daß er heute mit ihm über Feld wolle. Der Vater hatte nichts dagegen, schenkte ihm sogar fünfzig Pfennig und verlangte nur, er müsse zum Nachtessen wieder da sein.
Als Hans bei dem schönen Sonnenschein durch die Gassen schlenderte, hatte er seit Monaten zum erstenmal wieder eine Freude am Sonntag. Die Straße war feierlicher, die Sonne heiterer und alles festlicher und schöner, wenn man Arbeitstage mit schwarzen Händen und müden Gliedern hinter sich hatte. Er begriff jetzt die Metzger und Gerber, Bäcker und Schmiede, die vor ihren Häusern auf den sonnigen Bänken saßen und so königlich heiter aussahen, und er betrachtete sie nicht mehr als elende Banausen. Er schaute Arbeitern, Gesellen und Lehrlingen nach, die in Reihen spazieren- oder ins Wirtshaus gingen, den Hut ein wenig schief auf dem Kopf, mit weißen Hemdkragen und in ausgebürsteten Sonntagskleidern. Meistens, wenn auch nicht immer, blieben die Handwerker unter sich, Schreiner bei Schreinern, Maurer bei Maurern, hielten zusammen und wahrten die Ehre ihres Standes, und unter ihnen waren die Schlosser die vornehmste Zunft, obenan die Mechaniker. Das alles hatte etwas Anheimelndes, und wenn auch manches daran ein wenig naiv und lächerlich war, lag doch dahinter die Schönheit und der Stolz des Handwerks verborgen, die auch heute noch immer etwas Freudiges und Tüchtiges vorstellen und von denen der armseligste Schneiderlehrling noch einen kleinen Schimmer
Weitere Kostenlose Bücher