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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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tranken neuen Wein. Es gab kein offenes Bier, nur Flaschen, und sogleich bekam jeder eine vorgesetzt. Der fremde Geselle wollte sich nobel zeigen und bestellte für alle zusammen einen großen Apfelkuchen. Hans fühlte plötzlich einen gewaltigen Hunger und aß hintereinander ein paar Stücke davon. Es saß sich dämmerig und bequem in der alten braunen Wirtsstube auf den festen, breiten Wandbänken. Die altmodische Kredenz und der riesige Ofen verschwanden im Halbdunkel, in einem großen Käfig mit
    Holzstäben flatterten zwei Meisen, denen ein voller Zweig roter Vogelbeeren als Futter durchs Gestäbe gesteckt war.
    Der Wirt trat für einen Augenblick an den Tisch und hieß die Gäste willkommen. Darauf dauerte es eine Weile, bis ein Gespräch zurecht kam. Hans nahm einige Schlückchen von dem scharfen Flaschenbier und war neugierig, ob er wohl mit der ganzen Flasche fertig würde.
    Der Frankfurter schwadronierte wieder grausam, von rheinländischen Weinbergfesten, von
    Wanderschaft und Pennenleben; man hörte ihm fröhlich zu, und auch Hans kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.
    Auf einmal merkte er, daß es mit ihm nicht mehr ganz richtig sei. Alle Augenblicke flossen ihm Zimmer, Tisch, Flaschen, Gläser und Kameraden zu einem sanften braunen Gewölk zusammen
    und nahmen nur, wenn er sich kräftig aufraffte, wieder Gestalt an. Von Zeit zu Zeit, wenn Gespräch und Gelächter heftiger anschwoll, lachte er laut mit oder sagte etwas, was er sogleich wieder vergaß. Wenn angestoßen wurde, tat er mit, und nach einer Stunde sah er mit Erstaunen, daß seine Flasche leer war.
    »Du hast einen guten Zug«, sagte August. »Willst noch eine?« Hans nickte lachend. Er hatte sich so eine Trinkerei viel gefährlicher vorgestellt. Und als jetzt der Frankfurter ein Lied anstimmte und alle einfielen, da sang auch er aus voller Kehle mit. Mittlerweile hatte sich die Stube gefüllt, und es kam die Wirtstochter, um der Kellnerin im Bedienen zu helfen. Sie war eine große, schöngewachsene Person mit einem gesunden, kräftigen Gesicht und ruhigen, braunen Augen.
    Als sie die neue Flasche vor Hans hinstellte, bombardierte sie sogleich der daneben sitzende Geselle mit seinen zierlichsten Galanterien, denen sie aber kein Gehör gab. Vielleicht, um jenem ihre Nichtachtung zu zeigen, oder vielleicht, weil sie an dem feinen Bubenköpfchen Gefallen fand, wandte sie sich zu Hans und fuhr ihm schnell mit der Hand übers Haar; dann ging sie in die Kredenz zurück.
    Der Geselle, der schon an der dritten Flasche war, folgte ihr und gab sich alle Mühe, ein Gespräch mit ihr in Gang zu bringen, aber ohne Erfolg. Das große Mädchen sah ihn gleichmütig an, gab keine Antwort und kehrte ihm bald den Rücken zu. Da kam er an den Tisch zurück, trommelte mit der leeren Flasche und rief mit plötzlicher Begeisterung: »Wir wollen fidel sein, Kinder; stoßet an!«
    Und nun erzählte er eine saftige Weibergeschichte. Hans hörte nur noch ein trübes
    Stimmengemisch, und als er mit seiner zweiten Flasche nahezu fertig war, begann ihm das Sprechen und sogar das Lachen schwerzufallen. Er wollte zu dem Meisenkäfig hinübergehen und die Vögel ein wenig necken; aber nach zwei Schritten wurde ihm schwindlig, er wäre ums Haar gestürzt und kehrte vorsichtig um. Von da an ließ seine ausgelassene Fröhlichkeit mehr und mehr nach. Er wußte, daß er einen Rausch habe, und die ganze Trinkerei kam ihm nicht mehr lustig vor. Und wie in einer weiten Ferne sah er allerlei Unheil ihn erwarten: den Heimweg, einen bösen Auftritt mit dem Vater und morgen früh wieder die Werkstatt. Allmählich schmerzte ihm auch der Kopf. Auch die andern hatten des Guten genug geleistet. In einem klaren Augenblick begehrte August zu zahlen und bekam auf seinen Taler wenig heraus. Schwatzend und lachend ging man auf die Straße, vom hellen Abendlicht geblendet. Hans konnte sich kaum mehr aufrecht halten, er lehnte sich schwankend an August und ließ sich von ihm mitziehen. Der fremde Schlosser war sentimental geworden. Er sang »Morgen muß ich fort von hier« und hatte Tränen in den Augen.
    Eigentlich wollte man heimgehen, aber als man am »Schwanen« vorüberkam, bestand der Geselle drauf, noch hineinzugehen. Unter der Türe machte Hans sich los. »Ich muß heim.«
    »Du kannst ja nimmer allein laufen«, lachte der Geselle. »Doch, doch. Ich - muß - heim.«
    »So nimm wenigstens noch einen Schnaps, Kleiner! Der hilft dir auf die Beine und bringt den Magen in Ordnung. Jawohl, du

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