Unternehmen Wahnsinn
der größten Enttäuschung der Operngeschichte des Jahrzehnts.
Diese Ernsthaftigkeit verlangt, nicht nur der Aufgabe, sondern auch der Notwendigkeit des Aufgebens ins Auge zu sehen, wenn sich das als die der Aufgabe abgerungene Wahrheit herausstellt.
114 Zitiert nach Charles Martig: Kino der Irritation. Lars von Triers theologische und ästhetische Herausforderung . Schüren Verlag 2008, S. 52.
115 Sudmann, Andreas: Dogma 95 – Die Abkehr vom Zwang des Möglichen . Offizin Verlag 2001.
116 Z. B. Thomas Vinterbergs Das Fest ; Lars von Triers Idioten , jeweils Dänemark 1998.
117 Vgl. Reinhard J. Brembeck: Das große Scheitern. Lars von Trier gibt den ›Ring‹ zurück in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Juni 2004.
»Am Ende des Tages …«
… zieht eine Führungskraft Bilanz und fragt mit dieser Redewendung in der Regel: Was kommt denn nun bei dem Ganzen heraus? Welche Zahlen, welche Erträge, welcher Gewinn? Der Dichter Rainer Maria Rilke hätte darauf womöglich mit seiner berühmten Gegenfrage geantwortet, die er den säbelrasselnden Optimisten und Ideologen seiner Zeit 118 entgegenstellte: »Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.«
Was im Falle unserer Arbeitswelt heute hieße: Es ist schon viel, wenn der Arbeitsalltag im ganz normalen Wahnsinnsbetrieb uns nicht um den Verstand bringt. Wenn wir diesen stattdessen nutzen (den Verstand und den Alltag), dann besteht die reelle Chance, dass wir erstens klüger, zweitens gelassener und drittens wirkungsstärker werden. Und das wäre dann sogar ein glänzendes Ergebnis.
Dabei ist es nicht nötig, alles »richtig« zu machen. Noch müssen wir alles komplett an den Nagel hängen. Aber zwischen der Ohnmacht (Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht … – alternativlos) und dem Größenwahn (Wenn ich nur wirklich will, kann ich alles … – ebenso alternativlos) liegt ein schmaler, aber deutlicher Korridor der Gestaltung. In diesem Verantwortungsbereich befinden sich alle, die sich weigern, fatalistisch zu werden, die stattdessen ihren Beitrag leisten wollen. Aber eben nicht für irgendetwas. Auch wenn die Eulen nicht sind, was sie auf den ersten Blick scheinen: Der Frage nach Sinn und Unsinn eines Tuns (des eigenen wie des unternehmensweiten) ernsthaft und intelligent auf den Grund zu gehen, hilft im alltäglichen Paradoxienmix wieder in die Spur zu finden. Sie ermöglicht eine erfrischende Distanz zum scheinbar »alternativlosen« Weiter-wie-Bisher. Neue Perspektiven rücken Dinge wieder zurecht und bewahren davor, Kopf und Nerven zu verlieren oder sich an den falschen Stellen zu verausgaben. Denn das wäre einfach eine irre Verschwendung, an Kraft, Nerven, Geld und Kreativität.
Und gefährlich: Denn wahnsinnige Unternehmungen laufen früher oder später auf katastrophale Crashs hinaus. Wie immer wird dann im Rückblick unisono konstatiert: Das konnte ja nicht gut gehen, das war ja auch verrückt.
Aber auch ganz ohne Katastrophe ist bereits jetzt eine bedenkenswerte Absatzbewegung zu erkennen: Immer weniger Menschen sind bereit, sich sinnlos zu verausgaben. Es wird zunehmend unattraktiv, Höchstleistung in verrückten Systemen verpuffen zu lassen – auch wenn das eine Weile lang »wahnsinnig interessant« sein mag.
Statt Unsinn zu verlängern oder auszuhalten, wollen gerade die Leistungsorientierten ihre Arbeitskraft für Herausforderungen einsetzen, die ihnen einleuchten. Von diesen Herausforderungen gibt es mehr als genug in dieser zusammenwachsenden Weltgemeinschaft; sie sind aufregend, lohnend und allemal notwendig, wenn wir uns nicht wirtschaftlich ruinieren wollen.
Ob wir uns dabei von François Julliens diskreter Gärtnerei oder von Marie de Gournays Freude am klaren Denken inspirieren lassen, ob wir wie Lars von Trier noch anspruchsvoller werden oder mit Byung-Chul Han einen Moment innehalten …, das hängt von unserer Persönlichkeit ab und noch mehr vom konkreten Umfeld, in dem wir uns befinden.
Der Möglichkeiten sind viele, im alltäglichen Gestrüpp Zusammenhänge ausfindig zu machen, die einen Sinn ergeben, vorausgesetzt wir haben uns erst einmal dazu entschlossen, uns nicht weiter verwirren oder lädieren zu lassen.
Mit einer Prise subversivem Humor, beim kollektiven Tüfteln und intelligenten Seinlassen lässt sich dann eine Menge unternehmen.
In diesem Sinne: viel Erfolg!
118 Rilke schrieb das Requiem für Wolf Graf von Kalckreuth im Jahr 1908; sechs Jahre später stürzten sich die Eliten der Gesellschaft siegesgewiss
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