Unternehmen Wahnsinn
Nostalgika. Inzwischen sorgen stärkere Substanzen für die Aufrechterhaltung der notwendigen Extremzustände: höchste Konzentration und radikale Verdrängung.
Zwischen Größenwahn und Ohnmacht: die Führungskraft
Extrem paradox ist auch dies: Es werden einerseits Lobeshymnen auf den neuen eigenverantwortlichen Mitarbeitertypus gesungen. Initiative, Mitunternehmertum und Flexibilität werden zu mantrisch wiederholten Schlagworten der neuen Unternehmenskultur. Gleichzeitig gab es aber auch noch nie so viel Angst vor eben diesen (den eigenen!) Mitarbeitern und ihren Umtrieben. Anders ist die Kontroll-Paranoia mit ihren umfassenden Abhörmaßnahmen und ausgeklügelten Spitzelsystemen nicht zu beschreiben. Unternehmensführer lassen ihre Hotelzimmer routinemäßig nach Wanzen durchsuchen. Sie wissen aber auch, dass sie von Claqueuren und Höflingen umgeben sind, auf deren Wort sie eigentlich nichts mehr geben. Überall nur Feinde oder Nachplapperer. Andere – formerly known as Arbeitnehmer – scheinen dazwischen nicht mehr zu existieren.
Bei jüngeren Führungskräften zeigt sich das Changieren zwischen Größenwahn und Ohnmacht besonders deutlich. Auf der einen Seite meinen viele von ihnen exakt zu wissen, was getan werden muss, um »diese Firma aufzuräumen und neu aufzustellen« – und sie werden das auch umgehend tun, wenn sie nur erst in den entsprechenden Positionen sind. Auf der anderen Seite fühlen sich dieselben jungen Führungskräfte eingesperrt und ausgeliefert einem System, das sie nur hoffnungslos klagen lässt: »Ich würde ja gerne, aber es ist unmöglich – ich kann nichts ausrichten.« Was aus dem Blick gerät, ist der Bereich dazwischen: jener Verantwortungskorridor zwischen Ohnmacht und Größenphantasie, in dem sich organisationale Wirklichkeit gestalten lässt. In der aufgeheizten Panik- und Jagdstimmung wird dieser Raum gerne übersehen. Vermutlich, weil sich dort zu wenig ruckartig bewegt.
Ein anderes Extrem-Duo, das sich in letzter Zeit verstärkt zeigt, ist die Verbindung von Stolz auf und Verachtung für ein und dasselbe. Hochgradige offizielle Anpassung und gleichzeitige totale Ablehnung dessen, was jemand in seiner Arbeitswelt täglich tut – das ist inzwischen nichts Unbekanntes für eine Unzahl von Konzernmitarbeitern aller Ebenen. Da ist der Stolz, in einer dynamischen Branche eine lukrative Stelle ergattert oder behauptet zu haben, die ehrliche Bewunderung für das Produkt oder bestimmte Persönlichkeiten der Firma – und nur einen Spaltbreit weiter lauert die Verachtung für dieses ganze »wahnsinnige« Business. Die Kluft ist un-heimlich; sie zeigt sich täglich, quasi öffentlich und offensichtlich. Man findet in nahezu jedem großen Unternehmen eine Vielzahl von Personen, die bestimmte grundlegende Entwicklungen und Entscheidungen der eigenen Firma nicht nur für schlecht, sondern für völlig irrsinnig hält. Projekte, bei denen wirklich jede und jeder unterschreiben würde, dass sie keinen Sinn haben, sondern nur wegen x oder y (etwas völlig Sachfremdem) durchgezogen werden müssen; in denen Geld verbrannt wird und wo es an ein Wunder grenzt, dass »hinten« immer noch etwas herauskommt, manchmal sogar (angeblich) ein Gewinn. Und alle machen immer weiter mit.
Es ist dies ein Symptom, das sich in den höheren Management-
ebenen – da, wo es die besseren Einblicke in die Gesamtsituation gibt – verstärkt, nicht abmildert.
Hier stimmt doch was nicht. Egal. Hab Spaß
Der Journalist und Autor Nils Minkmar hat dies einmal »surreales Weitermachen« 5 genannt, und die Psychoanalyse spricht von Spaltungsmechanismen. Sie helfen, die Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu müssen – ebenso wenig wie die zugrunde liegende Angst.
Vielleicht das extremste oder fundamentalste Extremismus-Paradox: Es tobt der globale Kampf ums Überleben – gleichzeitig macht alles aber auch total viel Spaß. So hart die Zeiten angeblich sind – leitende Manager ebenso wie Politiker und andere sogenannte Meinungsmacher versichern uns durch die Bank: »Wenn es mir einmal keinen Spaß mehr macht, höre ich sofort auf.« Wer’s glaubt. Den Spaß wie das Aufhören.
Die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich analysiert in ihrem Buch »Smile or die« 6 diesen Massenvirus des Permanentpositivdraufseinmüssens. Sie meint: Egal wie tief wir mit unseren Projekten im Schlamassel stecken, wie sehr wir eben attackiert, gedemütigt oder ignoriert wurden, es hat zu gelten: bitte zurücklachen. Es herrscht
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