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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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verboten, du Arschloch! Schalte es aus!«
    Ich winke ab, drücke Ingo mein Handy in die Hand und vergrabe mich wieder unter meiner Jacke.
    »Ich habe selbst ein iPhone, falls es dir aufgefallen ist«, sagt Ingo. »Ich will nicht spielen. Ich –«
    »Ist deines auch nicht ausgeschaltet?«, empört sich der Schweizer.
    »Hast du nicht einen Gebetszettel für ihn?«, fragt Ingo.
    »Macht nicht so auf cool hier, ihr Arschlöcher!«, ruft der Schweizer. »Das ist gefährlich! Ein Flugzeug kann abstürzen …«
    »Aber nicht wegen unseren Handys!«, schreit Ingo.
    Ich drücke Ingos Arm, damit er sich ein wenig beruhigt. In diesem Moment kommt eine Durchsage des Kapitäns, erst auf Kroatisch, dann auf Englisch. Es gibt Gewitter über Wien, deshalb mussten wir eine Weile warten. Jetzt geht es weiter, doch wenn sich die Lage nicht bessert, landen wir in Graz und werden mit Bussen nach Wien gebracht.
    »Ich steige sicher in keinen Bus«, sagt Ingo. »Ich nehme ein Taxi. Ich fahre nie wieder mit einem Bus.«
    »Ich habs gewusst«, sage ich. »War mir völlig klar, dass mit diesem Flug etwas nicht stimmen wird.«
    »Schaltet ihr jetzt endlich eure Handys aus, ihr Schweine?«, ruft der Schweizer.
    Ich stecke den Kopf unter die Jacke und höre nicht zu, was Ingo ihm alles an Freundlichkeiten entgegnet. Ich denke an all das, was ich in Medjugorje erlebt habe, und bin ein wenig traurig, weil ich nicht klüger bin als vor meiner Reise. Ich denke an die Geschichte mit dem Pater und dem Ungläubigen im Flugzeug, die so erfunden klingt, dass sie schon wieder wahr sein könnte, obwohl ich das nicht glaube. Gerade als ich mir vorstelle, wie 356 Menschen in einem Flugzeug aufstehen und »Jesus, Jesus!« schreien, beginnt unsere Maschine heftig zu wackeln.
    »Jesus!«, schreit der Schweizer.
    Ich bleibe unter der Jacke und lache verzweifelt.
    »Ingo, lass uns die Handys ausschalten. Der Kerl tut mir leid.«
    »Mir auch«, blafft Ingo.
    »So meine ich es nicht. Ich meine, Angst zu haben ist nicht lustig. Schalten wir sie aus.«
    »Und ich? Ich habe auch Angst! Ich habe Angst vor DEM da! Wer schützt mich denn vor so einem Typen?«
    Ich strecke den Kopf heraus. »Ingo, der tut dir bestimmt nichts.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher.«
    »Ingo, sogar die Frau neben ihm ist stärker als er. Du bist der stärkste Mensch in diesem Flugzeug. Er kann dir nichts tun.«
    »Davon rede ich ja gar nicht. Der spinnt, hast du das nicht gemerkt? Vor den Spinnern muss man sich in Acht nehmen.«
    Mit spitzen Fingern zieht er eine Broschüre aus meiner Tasche. »Die da! Solche meine ich! Was steht denn da?«
    »Jetzt lass es gut sein! Hände weg! Schalt dein Handy aus!«
    Ingo schaltet sein Handy aus, legt sich jedoch erneut mit dem Schweizer an. Ich verstecke mich unter der Jacke und konzentriere mich darauf, dass mir nicht übel wird.
    Es geht rauf und runter, aber bedrohlich finde ich die Lage nicht. Zwar muss ich an einige Abstürze unter ähnlichen Umständen denken, die ich bei Mayday – Alarm im Cockpit gesehen habe, doch die Xanor wirkt, oder die Böen sind noch nicht stark genug, um meiner Sedierung entgegenzuwirken. Sorgen macht mir nur die Gospa. Sie hat mich schon mit dieser grauenhaften Angina von ihrem Berg ferngehalten und schließlich aus Medjugorje verscheucht.Obwohl, wahrscheinlich gibt es Irre, die selbst derart krank auf einen Berg steigen. Mich würde interessieren, was dem armen Pater Slavko gefehlt hat.
    Ob Pater Slavko mal geflogen ist? Ob er Flugangst hatte? Ob die Seher ihre 17.30-Uhr Visionen auch im Flugzeug haben, wenn sie unterwegs sind? Nach welcher Zeitzone richtet sich die Gottesmutter dann? Wieso muss man überhaupt fliegen?
    »Ingo, wenn wir abstürzen –«
    »Keine Angst, du wirst der Gospa bestimmt nicht begegnen.«
    Er fängt wieder ein Scharmützel mit dem Schweizer an.
    »Jetzt lass die Dumpfnuss da vorn endlich in Ruhe!«, sage ich.
    »Ich? Er lässt mich nicht in Ruhe!«
    »Er ist nervös. Lass ihn einfach.«
    »Ich bin auch nervös!«, brüllt er, gibt aber erst einmal tatsächlich Frieden, wenn man vom üblichen Getrommel und Getrampel absieht.
    Ich bin so müde, dass ich sogar unter diesen Umständen wieder einnicke. Ich spüre, wie es mit dem Flugzeug rauf und runter geht, aber es ist mir gleichgültig. Seit Stunden kommt die Ruhe in Wellen. Mal bin ich nervös, mal weggetreten. Ich führe das auf die Mischung von Alkohol und Beruhigungstabletten zurück, die sich in meinem Organismus einen Kampf

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