Unterwegs im Namen des Herrn
aber nicht passiert sind, das ist mein Leben, warten und warten und wieder warten!«
»Jetzt krieg dich mal …«
»Ich muss mich ablenken!«
Er schnappt sich den Clever & Smart-Band aus meiner Tasche und setzt sich neben mich auf den blanken Boden.
Ganz reizend. Und womit lenke ich mich jetzt von mir selbst ab? Alles, was ich noch habe, sind die erbaulichenSchriften in der Tasche. Genau genommen wäre es viel sinnvoller, wenn Ingo die lesen würde und ich den Comic.
BOTSCHAFT DER GOSPA VOM 2. JANUAR:
Liebe Kinder! Heute rufe ich euch mit vollem Vertrauen und großer Liebe auf, mit mir zu kommen, denn ich möchte euch mit meinem Sohn bekannt machen. Habt keine Angst, meine Kinder, ich bin hier bei euch, ganz nahe bei euch. Ich zeige euch den Weg, wie ihr euch selbst und anderen verzeihen und mit aufrichtiger Reue im Herzen vor dem Vater knien könnt. Lasst alles in euch absterben, was euch daran hindert zu lieben und gerettet zu werden, damit ihr bei Ihm und in Ihm sein könnt. Entscheidet euch, einen neuen Anfang zu machen, einen Anfang mit ernsthafter Liebe, die Gott selbst ist. Ich danke euch.
Ich frage mich, ob Ingo insgeheim dafür betet, dass mit Tanja und dem Kind alles glattgeht. Er sieht nicht gut aus, er muss dringend abgelenkt werden. Wenn ich ihm jetzt aber sage, dass er mit aufrichtiger Reue im Herzen vor dem Vater knien soll, fange ich mir garantiert einen linken Haken ein. Also lege ich ihm die Broschüre auf die Seite des Comics, die er gerade aufgeschlagen hat und wo der Prälat bei Mister L eintrifft, um die moralischen Gepflogenheiten des Geheimdienstes zu untersuchen.
»Lies mal. Wieso sagt die immer dasselbe?«
»Na, stell dir vor, du müsstest dreißig Jahre lang erscheinen und Botschaften verkünden.« Ingo schiebt das Blatt ungelesen zur Seite. »Da fällt dir irgendwann auch nichts Neues mehr ein.«
»Aber die sollte doch mehr zu sagen haben als ein gewöhnlicher Sterblicher«, versuche ich ihn aus der Reservezu locken, denn ich hoffe, vielleicht doch noch das Knien vor dem Vater anbringen zu können. Der Tropf geht jedoch nicht darauf ein und liest weiter seinen Comic.
»Hier, schau dir das mal an!« Ich zeige ihm eine Überschrift.
Die Fastenzeit erinnert uns daran, dass das Leben des Christen ein ununterbrochener Kampf ist, in dem die Waffen des Gebets, des Fastens und der Buße eingesetzt werden.
»Stammt vom Papst persönlich!«
Ingo legt mir den Comic zwischen die Beine und steht auf.
»Ich sehe mal nach, wie es mit unserem Flug aussieht.«
Schon ist er weg, sogar seine Fototasche lässt er achtlos stehen. Ich ziehe sie mit dem Fuß an mich heran. Ivica würde sich freuen zu erfahren, dass ihr Inhalt an die 30 000 Euro wert ist. Ich schicke Tanja eine SMS , in der ich ihr alles Gute wünsche. Kurz darauf ist Ingo wieder da.
»Du glaubst es nicht«, ruft er, »wir sind überpünktlich! Wir können gehen! Boarding läuft schon!«
Wie ein Panzer zieht er eine Schneise durch die Menge, rechts und links fliegen die Leute, die er streift, nur so zur Seite. Ich, der hinter ihm läuft, bekomme ihre Empörung zu spüren. Was mir jedoch ziemlich egal ist, weil ich groggy bin und mir überdies die Botschaften der Jungfrau im Kopf herumschwirren.
Ich bin so konfus, dass es am Gate zu einem Missverständnis kommt. Die Frau vom Bodenpersonal wirft einen Blick auf meine Bordkarte, liest, reicht sie mir stirnrunzelnd und mit einem scharfen Blick auf meine Nase zurückund sagt in perfektem Deutsch: »Ihre Bordkarte, bitte.« Ich schaue auf das, was ich für den Computerausdruck meiner Karte gehalten habe, und lese:
BOTSCHAFT VOM 25. 09. 2007
Liebe Kinder! Auch heute rufe ich euch alle auf, dass eure Herzen mit noch glühenderer Liebe zum Gekreuzigten lodern, und vergesst nicht, dass Er aus Liebe zu euch Sein Leben hingegeben hat, damit ihr gerettet seid. Meine lieben Kinder, meditiert und betet, damit euer Herz sich für die Liebe Gottes öffne. Danke, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid.
Mit verlegenem Lächeln stecke ich die Botschaft der Jungfrau weg. Die Bordkarte finde ich in der Brusttasche meines Hemdes, das mir klamm am Leib klebt. Ich darf passieren. Meine freundlichen Blicke nützen nichts, denn als ich mich umdrehe, sehe ich, dass die Frau am Schalter einem Kollegen neben ihr etwas zuflüstert. Dieser schaut mir besorgt hinterher und sagt etwas in sein Funkgerät.
Ich stolpere hinter Ingo durch den muffigen Schlauch, der direkt in das
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